stempelBlog

Irgendwas ist ja immer...

Eigentlich gibt es nur noch wenig zu diesem Thema zu sagen.

Nach über einem Jahr ist alles gesagt!

Es beherrscht inzwischen unsere Gedanken, unsere Gespräche untereinander, es beherrscht die Virologen Christian Drosten und Hendrik Streeck und es beherrscht unsere Nachrichten auf allen Sendern. 

Es gab eine kurze Unterbrechung, als die Amerikaner sich entschlossen, ihren Präsidenten, der das Corona Virus mittels eines Desinfektionsmittels bekämpfen wollte, abzuwählen. Ich habe mit den Demokraten gelitten, solange noch nicht feststand, ob Joe Biden seine verdiente Chance bekommen würde und ich habe gejubelt, als sich endlich genügend Wahlmänner fanden, den 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten in die Wüste zu schicken.

Aber sobald nachdem Joe Biden auf die heilige Bibel schwor, seinem Land endlich die Würde und das Ansehen wiederzugeben, das es verdiente, beschworen Claus Kleber und seine Kollegen wieder mit düsteren Prognosen DAS VIRUS, DIE ZAHLEN und die TOTEN. 

Jeden Abend um 20.00 Uhr und noch einmal kurz vor dem Schlafengehen. Um den Zuschauern am Ende ein gute und erholsame Nachtruhe zu wünschen.

Ich hätte mir so gern einmal eine gute Nachricht gewünscht.

Eine einzige! Nur einmal!

Dann hätte ich auch besser geschlafen. 

Aber sie kennen kein Erbarmen, die Journalisten. Sie nehmen den Menschen die Hoffnung und Freude und geben ihnen das sichere Gefühl, dass wir alle nunmehr mit tödlicher Sicherheit ins Verderben schliddern werden.

Unsere Bundeskanzlerin machte da keine Ausnahme. 

Ich hatte sie einst - ich muss es gestehen - selbst gewählt. Aber nach ihrem ersten Ausrutscher, für den sie sich übrigens nie - NIE !!! - entschuldigte, und in dessen Folge sie um die 1,5 Mio. Flüchtlinge ins Land gebeten hatte, die Hälfte davon ohne jegliche Papiere, ohne auch nur einen einzigen ihrer deutschen Untertanen gefragt zu haben, beschloss ich, sie nie wieder zu wählen.

In unserer Pandemie, in der so ziemlich alles schief gelaufen ist, was nur schief laufen  kann, schwor ich mir dann endgültig: Nie wieder Angela Merkel und und all die Gehilfen, die in Vasallentreue zu ihr halten. Je länger dieses heimtückische Virus unter uns weilt, beschleicht mich die düstere Ahnung, dass sowohl die eine, als auch die andere Seite keine Ahnung hat. Sie alle fischen mehr oder weniger im Trüben.

Gegipfelt hat es noch in der Tatsache, dass all die hochgradig gefährdeten Heimbewohner, Ärzte, das Klinikpersonal und die über 80-jährigen schnellstens geimpft werden wollten, allein - es war kein Impfstoff da. 

Dabei standen Impfzentren, Personal und Bundeswehr bereit, um zu helfen. 

Aber - ohne Impfstoff keine Hilfe. Und ohne Hilfe kein Schutz. 

Und ohne Impfschutz sieht die Sache für die 90jährigen Heimbewohner ganz mies aus...

Neulich sickerte durch, dass sich Kirchenfürsten und Politiker heimlich das begehrte Zeug unter den Nagel gerissen haben, um ganz vorn dabei zu sein. 

Mit dem Impfschutz.

Da wurde unser Gesundheitsminister Jens Spahn aber richtig böse!

Künftig wird er genau aufpassen, dass alles seinen geordneten Verlauf nimmt. 

Jawoll!

Nützt aber alles nichts. Weder die Europa-Uschi noch unsere Bundes-Mutti haben die Angelegenheit im Griff. Und geben es nicht zu!

Sogar Marietta Slomka, die ja nun wirklich bekannt dafür ist, sich wie ein Terrier an ihren Interviewpartnern festzubeissen, entlockte unserer Kanzlerin kein Schuldeingeständnis. 

Alles liefe erwartungsgemäss gut. Sagt sie. Und sieht dabei unter dem brav frisierten Pony treuherzig in die Kamera. Wieso darf die eigentlich zum Friseur und ich nicht?

Ich habe mir schon zum dritten Mal den Pony geschnitten und sehe mittlerweile etwas eigenartig aus. Irgendwie fremd.

Der Gipfel der Fehlorganisation betrifft die Telefonnummer, unter der man sich einen Impftermin geben lassen kann. 

116 117. 

Ganz einfach wählen und man bekommt einen Termin.

Nur - unter dieser Telefonnummer erreicht man normalerweise einen Bereitschaftsarzt. 

Oder auch nicht. 

Es meldet sich zwar nach langer Wartezeit eine gelangweilte Stimme, die einem mitteilt, der Arzt käme erst nach sechs Stunden. Aber mehr Hilfe ist da nicht zu erwarten.

Ein Versuch, über diese Telefonnummer gar noch einen Impftermin zu bekommen, endet desaströs bzw. gar nicht. Es soll 80jährige Menschen geben, die dies bis zu 16 Stunden versucht haben. Am Ende haben sie einfach aufgelegt.

Da drängt sich dem denkenden Menschen doch der Gedanke auf, hätte man nicht eine neue Nummer ins Netz stellen können, unter der man ein Callcenter mit vielen hilfsbereiten Mitarbeitern bereit stellt?

Das Virus hatte dann inzwischen unsere ganze Familie erreicht, Gott sei Dank in abgeschwächter Form. Wir alle haben schlecht geschlafen, fühlten uns matt und hatten keinen Appetit. Nach 10 Tagen war der Spuk vorbei und nachdem ich einen Gewaltmarsch rund um den Schlachtensee gemacht hatte, fühlte ich mich wieder fit. 

Eigentlich besser als vorher. Wie Trump. Ohne mir Desinfektionsmittel gespritzt zu haben.

Da kann man mal wieder sehen!

Allerdings muss ich all die Test und Laborkosten zur Feststellung der Infektion und der Antikörper selbst bezahlen. Bei meinen Antikörpern habe ich einen traumhaften Wert erreicht und werde auf keinen Fall einer Intensivstation mit astronomischen Kosten zur Last fallen.

Aber das interessiert die Politiker nicht.

Ich bin mit unserer Bundeskanzlerin durch. Ehrlich.

Vielleicht heisst der nächste Bundeskanzler ja Söder, dann gibt's auch wieder das Oktoberfest.

Und mein Frisör darf am 1. März wieder öffnen. Nur einen Termin, den bekomme ich nicht. Es nimmt keiner ab...

Igendwas ist ja immer...

Es gibt Menschen, die gern und viel reden. Es gibt Menschen, die gut zuhören können. Dann gibt es Menschen, die zwar viel reden, dies aber interessant. Denen hört man gern zu.

Und schlussendlich gibt es Menschen, die viel reden und zwar ausschließlich von sich. Ohne dass es interessant wäre.

So ein Exemplar sass neulich hinter uns im Cafe am Mexikoplatz. Das Thema war sein Rücken. Da er laut und deutlich sprach (was im Zeitalter von Corona eher selten ist - durch die Masken versteht man von allem nur noch die Hälfte), waren der Mann an meiner Seite und ich notgedrungen gezwungen, ihm zuzuhören. Schlimmer dran war noch die Frau, die ihm gegenüber sass. Seine Ehefrau wird es nicht gewesen sein, die hätte ihm wegen seiner ellenlangen Monologe wahrscheinlich längst eine Bratpfanne über den Schädel gehauen. Aus seinen Mitleid erregend vorgetragenen Beschwerden ging nämlich hervor, was ihn schon längere Zeit quälte.

War sie eine Bekannte? Wenn ja, gehe ich mal davon aus, dass sie es nicht lange sein wird. Am wahrscheinlichsten ist es, dass es sich um eine brandneue Beziehung handelte. Sie hörte sich den Langeweiler nicht nur an, sie gab ihm von Zeit zu Zeit wertvolle Ratschläge. Das macht auf Dauer keine Ehefrau. Weil sie es nämlich nicht mehr aushält - das Gejammere über seinen Rücken.

Im einzelnen: Wenn er aufsteht, brennt jeder Muskel. Legt er sich hin, knirschen die Knochen. Seitlich geht's gar nicht - ganz ganz schwierig. Neulich hat sein Arzt auch bedenklich das Haupt geschüttelt. Geholfen hat er ihm aber nicht. Überhaupt - helfen kann ihm sowieso keiner. Auch nicht die vierte Physiotherapeutin, die er nach drei anderen ausprobiert hat. Jetzt ist er grade dabei, das "Body-Back-Buddy-Triggerpunkt Rückenmassagegerät für Muskelschmerzlinderung des ganzen Körpers zu testen. Aber er hat wenig Hoffnung, dass es hilft. Auch der Anoopsye-Gradehalter als Schulter und Rückenstütze hält nicht, was er versprochen hat. Interessiert nickt seine Begleiterin. Vielleicht muss der Gradehaltergurt fester umgeschnallt werden? Die Bedienung möchte bei den beiden abrechnen, sie wollen gehen, und so erfahre ich nicht, wie es mit dem Gurt weitergeht.

Aber der Mann an meiner Seite und ich atmen auf. Endlich Ruhe. Bis eine Stimme, der man die Schmerzen förmlich anhört, unsere Hoffnung zunichte macht: Den beheizten Vibrationstaillemassagegürtel mit Wärmefunktion für 34,99 € aus dem Internet, auf den setzt er jetzt alle seine Hoffnungen. Seine Begleiterin nickt zum wiederholten Male höflich. Von dem hätte sie auch schon gehört. Ganz ehrlich - wenn ich so einen Typen kennengelernt hätte, ich hätte nach spätestens 10 Minuten die Flucht ergriffen. Ohne meinen Anteil an der Rechnung zu bezahlen. Wie einsam muss man sein, um eine geschlagene Stunde neben einem Mann zu sitzen, dessen einziges Interesse seinem eigenen Rücken gilt. Ich hätte sie gern mit der schonungslosen aber einzig wahren Tatsache konfrontiert, dass sich dieser Mann niemals ändern wird. Er kann es gar nicht. Sein Rücken und damit er selbst werden auf alle Zeiten der Mittelpunkt seines Universums sein.

Aber da waren die beiden schon gegangen...

Irgendwas ist ja immer...

Ich bin die, die auf öffentlichen Toiletten immer die alte Papprolle aus dem Toilettenpapierhalter rausfummelt und die neue Klopapierrolle, die meine Vorgängerin der Einfachheit halber auf den Boden gestellt hat, einlegt. 

Manchmal nicht einfach, aber so bin ich nun mal. 

Machen Sie da mal was.

Ich kratze auch den Kleber des Mitteilungsschildes vom Klingelschild unserer Anlage, die einer der zahlreichen DHL-Fahrer dort hingepappt hat, weil er nämlich unsere Nachbarin, die Tag und Nacht etwas bei Amazon bestellt, nicht angetroffen hat. 

Shit happens.

Ich mache ihm auch nicht mehr auf. 

Einmal hat er mich aus dem Mittagsschlaf geklingelt, einmal war ich auf dem Klo.

Mit mir nicht mehr.

Manchmal kommunizieren die beiden. Der Bote schreibt, meine Nachbarin möge die Sendung doch beim nächsten DHL-Shop abholen. Dann klebt sie ihm einen Zettel hin, er soll die Sachen beim Nachbarn abgeben. 

Aber auch der macht nicht mehr auf.

DHL muss lange experimentiert haben, bis sie einen Kleber fanden, der den Mitteilungszettel unlösbar mit der Haustür verbindet. Die Hausreinigung und ich stehen jedenfalls vor einem Rätsel, wie man die Reste wieder abbekommt.

Wenn nicht bald etwas passiert, sieht es an unserem Hauseingang aus wie in Neukölln, von der Berliner Polizei auch gern als "Achse des Bösen" bezeichnet.

Man mag meine Sorgfalt jetzt als leicht übertrieben bezeichnen, aber ich finde, warum gehen die Leute nicht einfach einkaufen? Man packt das Gewünschte ein, trägt es nach Haus und in die Wohnung. 

Fertig.

Keine Klebezettel und kein Klingeln beim Nachbarn. Und vor allem - kein Mensch bekommt mit, für was ich mein Geld so rausschmeisse. Würde meine Nachbarin einkaufen gehen, statt online zu bestellen, wüsste ich beispielsweise nicht, dass sie Dessous von Victoria Secret trägt.

Also wirklich. Ich möchte jedenfalls nicht, dass der Rest des Hauses meine Unterwäschenmarke kennt. Sie etwa?

Leider dankt meine Umwelt mir meine Gründlichkeit nicht. Auch nicht, dass ich messerscharfe Glasscherben vom Gehweg ins Gebüsch befördere, damit sich die Hunde nicht ihre Pfoten aufschneiden und wochenlang humpeln müssen. 

Anderen Leuten ist das ganz egal.

Neulich entdeckte ich in einem der Süßigkeitenregale an der Supermarktkasse, die deshalb dort angebracht sind, damit die Eltern der quengelnden Kinder die Nerven verlieren und ihnen etwas kaufen, ein Päckchen tiefgefrorener Fischstäbchen, die langsam vor sich hinschmolzen. Ein Kunde hatte wohl in letzter Sekunde doch sparen wollen oder sein Geld hatte nicht gereicht - wie auch immer. 

Als ich die Kassiererin darauf aufmerksam machte, packte sie die Fischstäbchen genervt neben sich an die Kasse, wo sie fröhlich weiter schmolzen.

Warum ich mich dauernd in anderer Leute Schlamperei einmischen muss, weiß ich nicht.

Ehrlich.

Ich war schon immer so. Eine Last für meine Familie und meine Umgebung. 

Seit frühester Kindheit.

Abends standen meine Schuhe vor dem Bett "auf Kante". Und waren geputzt. Der Kleiderschrank meiner Mutter sah mustergültig aus, die Pullover waren von mir fachmännisch zusammengelegt und vorher unter Dampf geglättet worden. 

Da war ich 10 Jahre.

Meine Eltern waren ratlos. Aber da man sich früher eher selten über die Psyche seiner  Kinder den Kopf zerbrochen hatte, warfen sich mein Vater und meine Mutter bedeutsame Blicke zu und ließen mich gewähren. 

Vielleicht ein Fehler. 

Hätte man mir beizeiten klargemacht, dass man mit seiner Pingeligkeit den Mitmenschen gepflegt auf die Nerven geht, würde ich heute nicht das rosa Einwegfeuerzeug auf unserem schwarzen Tisch gegen ein graues eintauschen. Oder meine Blusen im Schrank nach Farben sortiert aufhängen. 

Wem das immer noch nicht reicht - meine Schuhe und Stiefel sind - selbstverständlich geputzt - in adretten, durchsichtigen Kunststoffkästen deponiert. Nach Sorten: Sneakers zu Sneakers, Ballerinas zu Ballerinas und Stiefel zu Stiefel. 

Aber wenigstens belaste ich mit meiner häuslichen Akribie lediglich den Mann an meiner Seite. 

Er trägt es mit Fassung.

Da er die Angewohnheit hat, morgens ein frisches T-Shirt  als unterstes aus dem wohlgeordneten Stapel zu ziehen, ergibt sich für mich ein weites Betätigungsfeld, um meiner Gewissenhaftigkeit zu frönen. 10 Minuten später liegt alles wieder an seinem Platz. Nach Farben sortiert - versteht sich.

Vererbt hat sich meine Ordnungsliebe Gott sei Dank nur in Maßen. 

Meine Tochter hat die Semester ihres Studiums mit rasender Geschwindigkeit absolviert, statt dauernd aufzuräumen und meine jüngste Enkeltochter backt und kocht mit einer Leidenschaft, die einen Starkoch vor Neid erblassen lassen würde. 

Allerdings packt sie nicht einen einzigen Löffel weg. Das überlässt sie anderen Familienmitgliedern.

Der Apfel fiel hier einmal ziemlich weit vom Stamm. 

Glücklicherweise. 

Ihre Ergebnisse schmecken göttlich.

Nur meine älteste Enkeltochter hat meine Gene geerbt. 

Sie trägt alles, was noch zu erledigen ist, in ihren Terminkalender ein: Putzen, Einkaufen, Anrufe etc. 

In ihrem Leben muss seit jeher alles nach Plan gehen. Änderungen sind nicht erwünscht.

Und ihre Pünktlichkeit ist fast unheimlich: Sie ist selbst dann zu früh, wenn sie zu spät losgefahren ist.

Ich bin sehr stolz auf sie...

Irgendwas ist ja immer...

Wir sind gelandet! In Berlin!

Irgendwie hatten wir das Gefühl, wir mussten uns verändern. 

Wohnungsmäßig.

Und dann hatten wir den Salat.

Inzwischen aber sind die letzten Kartons ausgepackt, alle Bücher und Aktenordner im schwarzen Billy-Regal (gibt es immer noch, wir hatten schon mal eins in den siebzigern) verstaut, einen Elektriker gefunden (Elektriker findet man in dieser Stadt so häufig wie ein Nugget), der uns alle Lampen angebracht hat und so langsam haben wir nicht mehr das Gefühl, uns in einem Hotel zu befinden. Man braucht ganz schön lange, um sich einzugewöhnen - Meinlieberherrgesangverein!

Da zieht man aus seinem großzügigen Altstadthaus im beschaulichen Lübeck in eine zugegebenermaßen recht große Wohnung in unserer Hauptstadt um, räumt alles leer, alle Schränke und Kommoden, in denen sich so unendlich viel angesammelt hat und stellt immer wieder fest:" Oh Gott, warum habe ich das nicht längst entsorgt". Der Gipfel war unser Gartenhaus, in dem sich unter anderem unzählige alte Farbdosen befanden, deren Inhalt so festgetrocknet war, dass er sich auch mit Hammer und Meißel nicht lösen liess.

Nicht alle!

In einem Marmeladenglas war graue Farbe nur oberflächlich getrocknet, der Rest war flüssig. Das be

merkte ich, weil der Müllsack, in den ich alle Dosen schmiss, durch das leider zerbrochene Glas unten aufriss und die graue Farbe sich gleichmäßig über den Boden, meine Schuhe und meine Hände ergoß. Es gibt Momente in meinem Leben, da wünsche ich mir, die Wirklichkeit wäre nur ein Traum und ich möchte jetzt gleich mal aufwachen.

Es hat fast eine Stunde gedauert, bis alle Schäden halbwegs beseitigt waren.

Und dann kommt der Tag, den du zu Recht fürchtest:

Vier kräftige Möbelpacker kommen und übernehmen das Regiment, wie einst Napoleon vor Waterloo. Sie packen alles ein, beladen ihren 18-Tonner nebst großem Anhänger und fahren vor dir her nach Berlin.

Dort angekommen, stellen sie all die großen und kleinen Möbel an die vorgesehenen Plätze, die 60 großen Kartons allerdings mitten in den großen Raum, der künftig dein Lebensmittelpunkt sein wird.

Dann lassen sie dich allein.

Und dann stehst du da. 

Und fängst an.

Zunächst packst du alles von einem Raum in den anderen. Dann merkst du, dass das nichts bringt und räumst alles wieder um. Dann setzt du dich hin, um eine Runde zu heulen. Und dann machst du weiter. 

Die Telekom soll eigentlich den neuen Anschluss legen, geht aber nach 10 Minuten wieder, weil am Verteilerkasten etwas nicht stimmt. 

Kabel Deutschland schickt neue Karten für den Kabelempfang, leider passen sie nicht. Das war vor drei Monaten. Denn nun begann ein reger Austausch von Modulen zwischen uns, welcher erst neulich sein Ende fand. 

Im Einwohnermeldeamt - heißt hier in Zehlendorf Bürgeramt und sieht auch genau so aus: düsterer Klinker und drinnen Muff in riesiger Wartehalle und beim Pförtner - habe ich uns auch angemeldet. Natürlich hatte ich das dreiseitige Anmeldeformular nicht ausgefüllt und mitgebracht, dafür aber unsere Heiratsurkunde, die gar nicht benötigt wurde. 

Langsam bekam ich es mit der Angst zu tun. 

Hatte ich doch schon drei Wochen auf einen Termin mit Frau Schulze gewartet, obwohl man sich spätestens (!) zwei Wochen nach Einzug ummelden muss. 

Der mir mitgeteilte Termin war heute. Um 14.12 Uhr. Um 15.00 Uhr saß ich immer noch in der Halle. Was, wenn man mich jetzt nicht mehr aufrufen wollte? Ohne das ausgefüllte Formular und weil vielleicht inzwischen Feierabend war. Beamte nehmen das in der Regel sehr genau.

Aber Frau Schulze liess Gnade vor Recht ergehen und genau um 15.30 Uhr erschien meine Nummer auf dem Bildschirm des Wartesaals.

Flugs eilte ich in Raum 46 b und nahm Platz.

Frau Schulze sah mich streng über ihren Brillenrand an und waltete ihres Amtes. Nachdem sie endlich kleine weiße Aufkleber auf unsere Personalausweise geklebt hatte, kam die nächste unheilvolle Frage: 

Haben Sie ihre Pässe mit?

Oh Gott, war jetzt alles umsonst? Die ganze Warterei, die unzähligen Formulare, die mühsame Konversation mit Frau Schulze? Ich wäre auch gern so langsam mal auf 's Klo gegangen, traute mich aber nicht zu fragen.

Frau Schulze rang sich ein schmallippiges Lächeln ab: Pass kann nachgereicht werden. 

DANKE!

Die Ummeldung unseres Autos ging wesentlich schneller. Ein türkischer Privatdienstleister hatte die Pein geplagter Berliner erkannt und prompt reagiert: für schlappe 19.OO € ersparte er seinen dankbaren Kunden bis zu vierstündige Wartezeiten bei der Kfz- Anmeldung. Papiere dalassen und nach drei Tagen umgemeldet abholen. Bezahlen. Fertig. Wir Deutschen können mitunter noch ordentlich etwas von unseren morgenländischen Nachbarn lernen.

Geht doch.

Jetzt fahre ich entspannt durch diese Stadt und bin - ehrlich gesagt - immer wieder heilfroh, wenn ich am Ziel ankomme. Allerdings bete ich oft heimlich vor mich hin, dass mein Navi mich nicht in Stich lässt. Oder der Mann an meiner Seite, der ein Navi gut und gern ersetzen kann. Mein Orientierungssinn lässt bekanntlich zu wünschen übrig... 

Mein Rücken hat mir allerdings den Umzug schwer übelgenommen. Jetzt gehe ich zweimal in der Woche zu einem jungen Physiotherapeuten, dessen Oberarme so kräftig sind, wie anderer Leute Oberschenkel. Er knetet meinen verspannten Nacken und trägt mir streng auf, jeden Tag mit einem Training zu beginnen. 

Wenn ich bloss dazu kommen würde...

 

Irgendwas ist ja immer...

Neulich waren wir in unserem Lieblingscafe. Vor den Toren unserer Heimatstadt liegt es wunderschön zwischen alten Jugendstilvillen und hat einen Garten mit Rosenstöcken und zierlichen Gartenmöbeln. Darin kann man dann liebevoll dekorierten Kuchen genießen - das Angebot ist zum Niederknien. Und obwohl im Moment vor Zucker jeglicher Art gewarnt wird, als wäre es ein Gift, welches zum schnellen Tod führt, genießen wir Nuß- und Apfeltorten zusammen mit wohlschmeckendem Cappuccino ganz ohne Reue.
Oft sitzen wir nur mit ein paar anderen Gästen zwischen Geißblatt und Efeu und hören andächtig dem Vogelgezwitscher zu.
Gestern nicht.
Zu allererst suchte sich ein Rollator umständlich Bahn, geschoben von einer alten Dame. Zwei weitere Damen folgten.
Mit einem kräftigen Ruck knallte das Gefährt gegen unseren Tisch und ließ den Kaffee ☕️ überschwappen. Mein Himbeertörtchen schwamm in einer Kaffeepfütze und hatte viel von seinem Glanz verloren.
"Muddi", ertönte es neben uns vorwurfsvoll, "pass' doch auf!"
Aber Muddi setzte sich umständlich auf einen Stuhl und hatte demzufolge keinen Blick für mein Himbeertörtchen.
Wie sich nach kurzer Zeit herausstellte, handelte es sich bei unseren hinzugekommenen Nachbarn um Mutter mit zwei Töchtern, welche ebenfalls in die Jahre gekommen waren.
Der Cafébesuch fand nicht ohne Grund statt.
Wir konnten laut und deutlich vernehmen, dass Muddi wohl oder übel und vor allem auf mehr oder weniger sanftem Druck ihrer zwei Töchter unlängst ein Zimmer in einem Altenheim bezogen hatte. Nun wollte man diesen Umstand feiern.
Also, feiern wollten den Anlass nur die Töchter - Muddi konnte der Tatsache, dass sie ihr lieb gewonnenes Eigenheim aufgeben musste, dagegen nicht viel abgewinnen.
Die Bedienung brachte Ihnen Kaffee und Käsesahnetorte.
Muddi stocherte lustlos darin herum.
"Ist doch prima, die Teppiche hat der Maler gleich mitgenommen. Die brauchst du doch sowieso nicht mehr". Tochter Nr. 1 wollte sichtlich den Umstand, dass man den eigenen Teppich nicht wegen Stolpergefahr in das Heim mitnehmen durfte, dezent vom Tisch wischen.
Muddi schluckte. Sie hätte es in dem ausschließlich pflegeleicht eingerichteten Pflegezimmer gern ein wenig gemütlicher gehabt.
"Die Waschmaschine ist auch weg". Tochter Nr. 2 meldete sich triumphierend zu Wort. "Prima, oder?"
Muddi fand das sichtlich nicht, sie hatte sehr an dem guten Stück gehangen. Die Miele hatte ihr dreißig Jahre gute Dienste geleistet und war nicht einmal zur Reparatur gewesen. Deutsche Wertarbeit!
Tochter Nr. 1 schob sich ein großes Stück Käsesahnetorte in den Mund.
"Deine Wohnung ist jetzt komplett leer. Nur die Gardinen hängen noch. Die soll der Nachmieter übernehmen. Gegen Zahlung eines angemessenen Preises, versteht sich. Die sind ja noch gut."
Das fand jetzt Muddi aber auch. Sie sah kurz von ihrer Torte auf.
"Wie neu", bestätigte sie und schien kurz ihr Elend zu vergessen.
Bevor sie sich aber an weitere Einrichtungsgegenstände erinnerte, die die Töchter verkauft hatten, wollte Tochter Nr. 2 jetzt gern vom Thema ablenken. Sie wollte nicht, dass die Rede auf die Erlöse von Muddis Schätzen kam.
"Bekommst du morgens auch zwei Brötchen?".
Muddi nickte.
"Wenn nicht, mußt du dich melden, hörst du? In den Heimbedingungen steht schließlich was von sechs Mahlzeiten am Tag."
Der Mann an meiner Seite und ich sahen uns an.
Donnerwetter!
Sechs Mahlzeiten. Das schafft ja noch nicht einmal ein Schwerarbeiter, geschweige denn ein alter Mensch, der sich wenig bewegt. Auf Speisekarten liest man schließlich immer vom Seniorenteller, meistens ist es Hühnerfrikassee.
Entschlossen sah Tochter Nr. 2 Muddi an.
"Muddi, sach wat!"
Muddi schluckte.
"Ja, zwei Brötchen". Sie verschwieg bestimmt, dass sie morgens mit Mühe lediglich ein halbes Brötchen herunter brachte. An einem Tisch, auf dem es nicht ihre Lieblingsmarmelade gab und in einem Speisesaal, in dem sie niemanden kannte.
Zwischen meinem Ehemann und mir machte sich eine gewisse Beklommenheit breit. Wir hatten jetzt eine gute halbe Stunde notgedrungenermaßen zuhören müssen, die Tische standen eng beieinander und die Töchter redeten laut. Man wurde das Gefühl nicht los, sie versuchten durch lauteres Reden ihre Meinungen der Mutter direkt ins Hirn zu transportieren.
Aber jetzt konnten wir nicht mehr und gingen.
Dabei ist doch alles prima - oder?

Irgendwas ist ja immer...

Neulich erzählte mir ein Freund, er habe in frühen Kindertagen Briefmarken gesammelt. Die begehrten Objekte habe er sorgfältig in einer alten Kladde geordnet, im Lauf der Zeit sei da ordentlich was zusammen gekommen.
Nun ist kein Kind der Welt gegen die Ordnungswut seiner Mutter gefeit, wenn diese einmal, von den eigenen Kindern nicht mißtrauisch observiert, im Kinderzimmer für Ordnung sorgt.
Der geschulte Mutterblick fiel dann auch prompt auf die Kladde.
Wusch - ab in den Müll das alte Ding.
Mein Freund behauptete, er habe lange an dem Verlust zu knabbern gehabt...
Ähnlich ist es unserer Tochter mit ihrer Steifftiersammlung ergangen. Mittlerweile hoch gehandelte Stofftiere, teilweise schon ererbt, teilweise an Weihnachts- und Geburtstagen den Gabentisch schmückend, waren im Laufe der Jahre zu einer beachtlichen Sammlung angewachsen. Sie bereicherten die Kindheit unserer Tochter. Wo andere kleine Mädchen ihre Puppen fleißig badeten und für sie Sandtörtchen fertigten, pflegte und versorgte unser Kind Löwen, Dackel und Nagetiere der Margarete Steiff mit Unmengen von Mullbinden, Salben und dem Pflastervorrat unserer Hausapotheke.
Irgendwann aber wurde die Sammlung in einem großen Karton deponiert und unsere Tochter Studentin der Veterinärwissenschaften.
Aus Platznot wanderte der Karton auf den Dachboden der Großeltern.
Dort standen die Tierchen, bis Natascha, die russische Haushaltshilfe der Großmutter, dieser von ihrem kleinen Neffen erzählte, der sich verständlicherweise nach unkontaminiertem Spielzeug sehnte.
Großmutter zeigte sich spendabel:
All die sorgsam gehegten und gepflegten Sammlerstücke verschwanden mit dem nächsten Heimaturlaub Nataschas in ihrem Lada und traten eine lange Reise nach Russland an.
Der Neffe soll gejubelt haben.
Unserer Tochter hingegen standen Tränen in den Augen...
Solch Schicksal konnte die Zuckerstückchensammlung des Mannes an meiner Seite nicht erleiden. Er beendete die Sammelei aus purem Eigennutz.
Der Sammelei fehlte von Anfang an die nötige Leidenschaft.
Trotzdem wuchs sie vorübergehend an, wurde aber durch ständige Entnahme mangels Schokolade immer wieder dezimiert.
Irgendwann war auch das letzte Zuckerstück gegessen.
Das war's dann!
Weitere Objekte kindlicher Sammelwut wären da noch zu nennen:
Bierdeckel (manche Kinder bepflasterten damit die Wände ihres Kinderzimmers), Oblaten (Erklärung für alle, die nicht in den fünfziger Jahren aufwuchsen: Das sind kleine Glanzbildchen, auf denen brave Kinder, mitunter auch Engelchen abgebildet waren, teilweise auch mit Glitzerstaub überzogen, die zwischen die Seiten eines ausgedienten Schulheftes gesteckt oder zum Tausch gegen schönere Exemplare angeboten wurden) oder Streichholzschachteln (in Zeiten, in denen Raucher noch nicht wie Schwerverbrecher behandelt wurden, ein notwendiges Detail).
All dies wurde, wie es nun mal Kindern zu eigen ist, mit einem wahnsinnigen Elan zusammengetragen, nur um es dann später schnöde in irgendwelchen Schubladen oder auf dem Dachboden verstauben zu lassen.
Nicht immer -
Der Mann an meiner Seite fing eines Tages im reifen Erwachsenenalter an, eine Eisenbahnanlage der Marke "Roco" zu sammeln. Als alles komplett war, wurde sie aufgebaut. Danach war die Luft raus.
Weil irgendwann das Zimmer, in dem sich die Anlage wie ein Lindwurm durchschlängelte, einem anderen Zweck zugeführt werden sollte, wurden Waggon für Waggon, Kohletender und Lokomotiven sowie Bahnhöfe und winzige Männlein in Schachteln gepackt.
Bis sich ein anderer Sammler fand. Für eine stattliche Summe wechselte der Kindheitstraum den Besitzer.
Der Mann an meiner Seite haderte eine Weile mit seinem Entschluss.
Dann wandte er sich seinem nächsten Traum zu:
Nach und nach entstand ein komplettes Tonstudio, in welchem er jede freie Minute verbrachte.
Fazit: Mühsam Gesammeltes wächst einem doch sehr ans Herz.
Aber: Der Trennungsschmerz geht wesentlich leichter vorüber, wendet man sich so schnell wie möglich etwas neuem zu.
Fachleute behaupten, dies gelte auch für Partnerschaften.
?????

Irgendwas ist ja immer...

Gestern waren wir am Strand. 

Komisch, früher haben wir eine Strandtasche lässig über der Schulter getragen (ein Bikini nimmt nun wirklich nicht viel Platz ein) und das war's.

Heute sieht das leider anders aus:

Der Mann an meiner Seite rollert eine leichte Sackkarre, auf der zwei Strandstühle befestigt sind (ich lese so gern am Strand, er sitzt gern angelehnt und schaut entspannt auf das Meer) vom Parkplatz zum Wasser. Das ist aber auch nur möglich, solange wir uns auf dem befestigten Weg zum Strand befinden. Auf dem Strandsand selbst stoppt die Karre abrupt und muss von ihm getragen werden.

Ich nehme den Rest. Eine enorm große Tasche, in der sich alles befindet, damit zwei Menschen und ein Hund ein paar Stunden in der Wildnis am Ostseestrand überleben können. Survivalmäßig sozusagen. Außerdem meine enorm große Handtasche, die Hundeleine und in der rechten Hand noch meine Flip- Flops.

Ob die Riesenflasche Wasser allerdings nötig ist - man kann darüber streiten. Ebenso über das Futter und den Trinknapf für den Hund - ein paar Stunden könnte er wohl auch ohne überleben. Insbesondere deshalb, weil unser Hund die Angewohnheit hat, die Ostsee leer zu trinken. Kaum riecht er das Wasser, rast er in atemberaubendem Tempo dorthin und säuft, als hätte er die Wüste Gobi durchquert.

Danach legt er sich sekundenlang ans Wasser, nur um dann blitzschnell den Schauplatz zu wechseln und das weite zu suchen.

Das ist blöd.

Ich muss daher meinen Stuhl in Richtung Meer drehen mit dem Gesicht im Schatten und den Hund fixieren, damit er nicht verloren geht.

Da ich jetzt sowieso nicht lesen kann, beobachte ich eine Großfamilie, die sich um einen kleinen hässlichen Jungen gescharrt haben. Mutter, Oma, Tanten und Freundinnen der Familie.

"Kuck ma, Jonas, kuck ma. Jetzt kuckt er. Kuck ma, wie der Jonas kuckt. Jonas Mutter ist erst ca. 17 Jahre alt und sieht mißmutig auf ihren Sprössling. Obwohl er guckt. 

"Der lacht nie auf Befehl" stellt sie zufrieden fest, als alle Beteiligten Jonas aufgefordert haben, nicht nur zu gucken sondern auch mal zu lachen und dieser keine Miene verzieht. 

Eine Weile ist Ruh, doch als ich gerade versuche, etwas zu lesen, nicht ohne gleichzeitig zu verhindern, dass unser Hund die Ostsee leer trinkt, fordert die ganze Sippe Jonas Mutter auf, mit ihm baden zu gehen. Widerwillig wuchtet sie ihre Pfunde Richtung Meer und zieht ihren Sohn ins Wasser.

Der fängt schlagartig an zu brüllen und wird daraufhin wieder rausgezerrt. Als beide an mir vorbeikommen, kann ich deutlich hören, wie die Mutter murmelt: "Ich hab gleich gesagt, der will nicht ins Wasser. Der hat Schiss".

Ja, hat er wohl. Eigentlich soll man kleine Kinder ja auch langsam und vorsichtig an das Meer gewöhnen, aber mit siebzehn sieht man das vielleicht anders.

Bevor die Sache jetzt eskaliert, bringt eine offensichtliche Bekannte der Familie etwas übergangslos das Gespräch auf Kürbis.

"Ich mach kein Kürbis", verkündet sie lauthals. "Ich hab noch nie Kürbis gemocht. Bloß kein Kürbisbrot. Nee".

Jonas Mutter mag auch kein Kürbis. Nur die Kürbissuppe von Nicole neulich, die war gut. Die mochte sie. Aber sonst - bloß kein Kürbis. Eine Bekannte fand die Kürbissuppe von Nicole auch gut. Aber sonst...

Bevor die Suppe von Nicole weiter erörtert wird, habe ich das weite gesucht und mit unserem Hund einen Spaziergang am Meer gemacht. Er ist gefühlte 300 Mal ins Wasser gelaufen und hat wieder Ostseewasser geschlabbert. Hoffentlich bekommt es ihm...

Und so langsam bekomme ich Hunger. Ich glaube, morgen kaufe ich einen schönen Hokkaidokürbis. Ich mag nämlich Kürbis ausgesprochen gern.

Im Gegensatz zu anderen Leuten...

Irgendwas ist ja immer...

Meine Uhr geht nicht mehr.
Sie ist ein Geschenk vom Mann an meiner Seite. Abgebildet sah ich sie in einem Hochglanzmagazin und wusste auf der Stelle: Ich muß sie haben. Rechteckig mit winzigen Brillanten auf dem schmalen goldenen Rand und einem edlen braunen Lederarmband - ich konnte an nichts anderes mehr denken. Der Hersteller hieß Alexis Barthelay und vertrieb das teure Stück nur in Frankreich, so erfuhr ich nach hartnäckiger Recherche.
Kein Problem.
Der nächste Besuch bei meiner Schwester in Paris bot Gelegenheit, das gute Stück zu erwerben. Nur - es war wie mit der berühmten Nadel im Heuhaufen. In Zeiten, in denen ich noch kein Internet nutzen konnte, klapperten wir gefühlte sämtliche Juweliere der französischen Hauptstadt ab, allein - keiner bot diese Uhr an. 

Zurück in unserer Heimatstadt startete der Mann an meiner Seite einen letzten Versuch:
Er ging mit mir zu Mahlberg, dem größten Juwelier des Ortes. Der Inhaber, der sich vorzugsweise mit Franzl Beckenbauer auf den Golfplätzen unserer Republik tummelt, war ausnahmsweise selbst in seinem luxuriösen Laden und fragte nach unserem Begehr. Ohne mit der Wimper zu zucken, holte er eine Schublade unter dem Verkaufstresen hervor und - da lag sie auf schwarzem Samt: Meine Alexis Barthelay.
Und dafür waren wir nun kreuz und quer durch Paris gelaufen, nur um sie hier zu finden. Vor unserer Tür.
Nee aber auch.
Und nun geht sie nicht mehr. Die Batterie kann es nicht sein, die ist so gut wie neu.
Was dann?
Am besten ist, ich gehe dahin zurück, wo wir sie erstanden haben: Zur Firma Mahlberg.
Hinter der Tür steht ein schwarz gekleideter Türsteher, der aussieht, als sollte er unsere Kanzlerin während des G20 Gipfels beschützen. Ich bin mit dem Fahrrad da, das sieht er natürlich und habe auch keinen Ehemann an meiner Seite, der schon rein äußerlich den Eindruck vermittelt, als wolle er mir eine schmucke Rolex aussuchen. Entsprechend mißtrauisch mustert er mich, hält mir aber doch die Tür auf.
Kühl werde ich von einer Verkäuferin, die genauso borniert aussieht wie Paris Hilton, begrüßt: "Sie wünschen?".
Na, das werden wir jetzt doch mal sehen, die wird staunen, wenn ich ihr meine Alexis Barthelay vor die Nase halte.
Ich äußere meinen Wunsch und sie staunt tatsächlich.
"Die Marke führen wir nicht mehr", ist ihr knapper Kommentar.
Gut, die Uhr ist mittlerweile 15 Jahre alt, aber bei dem Preis - ich meine, da kann man doch von einer unbegrenzten Lebensdauer ausgehen, oder?
Sonst noch was? Es fehlt nur noch, dass sie mit der Hand wedelt und mich so von ihrer edlen Arbeitsstätte wegwischt.
Aber so schnell gebe ich nicht auf.
"Kann nicht vielleicht doch ihr Uhrmachermeister einmal einen Blick auf das Gehäuse werfen? Vielleicht ist es ja nur eine Kleinigkeit".
Paris Hilton mustert mich kühl.
"WIR FÜHREN DIESE MARKE NICHT MEHR", wiederholt sie laut und deutlich. Andere Kunden sehen inzwischen zu uns herüber und müssen den Eindruck bekommen, ich möchte eine Jahrmarktsuhr repariert haben.
"Und deshalb haben wir auch das Werkzeug nicht mehr, um das Gehäuse zu öffnen.
Und außerdem" - jetzt schiebt sie mit leicht angeekeltem Gesicht meine schöne Alexis Barthelay über den Tresen - "ist das Glas ja stark beschädigt".
Huch - habe ich da jahrelang etwas übersehen? Ich setze meine Brille auf und beuge mich über die Uhr. Tatsächlich - ein hauchfeines Kratzerchen ist ganz außen am Uhrglas zu erkennen.
Ein letzter Versuch:
"Wissen sie was? Ich lasse Ihnen die Uhr einfach mal da und sie geben sie ihrem Meister. Vielleicht geht ja doch noch was".
Jetzt ist Paris Hiltons Geduld aber am Ende. Mit spitzen Fingern nimmt sie meine Uhr hoch.
"Wenn sie unbedingt wollen - das kostet aber eine Kleinigkeit und wenn sie dabei beschädigt wird, übernehmen wir keinerlei Haftung".
Meine schöne Uhr! Meine Alexis Barthelay! Mein Kleinod, mein Trost an trüben Tagen!
Ich sehe Paris Hilton böse an, reiße ihr die Uhr aus der Hand und schiebe den Bodyguard, der mir die Tür aufhält, beiseite.
Dann eben nicht!!!
Fahre ich nach Hause? Oder soll ich einen letzten Versuch...?
Ich mach's.
10 Minuten später schiebe ich meine Uhr beim Uhrenservicestand der Firma Karstadt dem nett aussehenden Uhrmacher hin.
"Sie geht nicht mehr. Und die Batterie kann es nicht sein, die ist neu".
Freundlich lächelt mich der Uhrmacher an.
"Geben sie mal her, manchmal sind es auch nur die Kontakte".
Problemlos öffnet er das Gehäuse, wischt ein paarmal hin und her und sieht dann prüfend auf das Zifferblatt.
"Geht wieder", sagt er  und reicht mit die Uhr.
Dankbar sehe ich ihn an.
"Was bekommen sie?"
"Nichts" ist die knappe Antwort.
Nee, ist klar. Die Kontakte. Entdeckt durch einfaches Öffnen des Gehäuses. Ganz ohne Alexis-Barthelay-Schraubenzieher.
Einfach so.
Eins ist klar: Bei welchem Juwelier meine nächste Uhr auch immer gekauft wird - Firma Mahlberg wird es nicht sein.
Schönen Tag auch noch, Herr Wintersteller...

Irgendwas ist ja immer...

Wir suchen eine Wohnung.
In unserer Hauptstadt.
Wenn wir unsere Kinder besuchen, muss eins unserer Enkelkinder regelmäßig sein Zimmer für uns räumen, das muss aufhören.
Außerdem lieben wir Berlin, haben hier doch schon unsere Großeltern und Eltern gelebt und jetzt eben unsere Kinder und Enkelkinder. Das verbindet.
Und nun suchen wir.
Mindestens einmal am Tag bekomme ich eine Mail von unserer Tochter mit den schönsten Bildern von eleganten Wohnanlagen, die zwischen alten Bäumen in edlen Villenstraßen stehen oder stehen werden.
Stehen sie noch nicht, hat man mittels Computertechnik Wohnungen entworfen, die mein Herz augenblicklich höher schlagen lassen. Sogar elegante Korbmöbel für die Terrasse stehen schon zwischen Zitronenbäumchen und warmer Sonnenschein hüllt alles in freundliches Licht. In Gedanken serviere ich dem Mann an meiner Seite und natürlich unseren Freunden, die uns in Berlin besuchen werden, einen Cappuccino in diesem edlen Ambiente, bevor wir uns nach innen begeben, um in unserem Esszimmer mit offener Küche ein perfektes Menü zu uns nehmen.
Läuft.
Die Sache hat nur einen kleinen Haken:
Bevor wir so ein kleines Juwel erstehen können, müßten wir unsere Ferienwohnung an der Cote d'Azur verkaufen. Toplage, Meeresblick, großer Pool, zwei Terrassen, geschmackvoll gestaltet.
Leider haben wir ein handfestes Problem:
Britische Käufer halten sich z.Zt. dezent zurück. Bevor dieser miserable Brexit nicht vom Tisch ist, geben die Engländer kein einziges unnötiges Pfund mehr aus.
Und Franzosen, die ihre Cote d'Azur eigentlich über alles lieben, kaufen keine Immobilien mehr. Attentate von islamistischen Irren haben dieses Land in den Grundfesten erschüttert und selbst unerschrockene Franzosen meiden die Gegend um Nizza und verschanzen sich lieber auf einem Bauernhof auf dem Land.
Und als wäre dies alles nicht genug, wird Frankreich seit einiger Zeit von einer Systemkrise beherrscht: Keiner legt mehr die Hand dafür ins Feuer, das nicht ein linksradikaler Antieuropäer oder die Rechtspopulistin Marine Le Pen das Steuer nach den Präsidentschaftswahlen in die Hand nehmen werden.
Kein glücklicher Zeitpunkt also, um eine Luxusherberge in Südfrankreich zu verkaufen.
Gut. Kann man jetzt auch nicht ändern.
Wir suchen trotzdem weiter. Seine Traumimmobilie findet man eben nicht von heut auf morgen und je eher man mit dem suchen anfängt, um so besser.
Habe ich also wieder eine Mail meiner Tochter erhalten, setze ich mich ans Telefon und fordere bei dem Investor der schicken Immobilie erste Auskünfte und Unterlagen an.
Das Dilemma ist leider, dass in den Verkaufsbüros gar keine kompetenten Mitarbeiter mehr sitzen. Diese Stimmen, die sich melden, hören sich an, als gehören sie kleinen Mädchen, denen man im Schnellverfahren folgende Sätze beigebracht hat:
"Ich darf keine Auskünfte geben."
"Das darf nur Frau Bogenhausen-Wenderich und die ist im Moment nicht da."
"Geben sie mir ihre Mobilfunknummer, dann ruft sie zurück."
Das alles hört sich an, als telefoniere ich mit einer Mickeymaus.
Im Grunde ist das mit dem Rückruf keine schlechte Idee. Nur - Frau Bogenhausen-Wenderich meldet sich nicht zurück. Oder sie ruft - trotz meiner ausdrücklichen Bitte, mich unter meiner Festnetznummer anzurufen - auf meinem Handy an. Dies befindet sich in der Regel in den unergründlichen Tiefen meiner gewaltigen Handtasche, so dass ich das Klingeln nicht höre. Dann habe ich eine Nachricht auf meiner Mailbox und stelle zu meinem Erstaunen fest, dass auch Frau Bogenhausen-Wenderich eine Mickeymausstimme hat.
Sucht man Bewerberinnen in der Immobilienbranche nach ihrer Stimme aus? Oder werden die auf Minimaus geschult?
Nach drei vergeblichen Versuchen, etwas mehr über das Sahnestück in Berlins Edelmeile zu erfahren, platzt mir der Kragen:
Mein vierter Anruf bei Mickeymäuschen in der Zentrale des Immobilienunternehmens ist wenig verbindlich:
"Wenn ich nicht innerhalb von einer Stunde zurückgerufen werde, von wem auch immer, und endlich vernünftige Auskünfte über die gewünschte Wohnung bekomme, können sie mich als Kunden vergessen. Schließlich wollen sie ihre hochpreisige Immobilie an den Mann bringen. Oder nicht?"
Mickeymäuschen denkt offensichtlich nach. Es ist still in der Leitung. Dann hat sie eine Lösung:
"Sagen Sie mir, wann sie unter ihrer Festnetznummer heute zu erreichen sind. Frau Bogenhausen-Wenderich ruft sie dann bestimmt zurück."
Ich nenne eine Uhrzeit und Mickeymäuschen zwitschert noch etwas von einem schönen Tag. Dann ist es still in der Leitung.
Zur gewünschten Zeit lauere ich am Telefon.
Nichts.
Nach einer Stunde drängt mich der Mann an meiner Seite endlich das Abendessen zu machen und nach einer weiteren halben Stunde sitzen wir traut bei einem Glas Rotwein und Coq au Vin am gemütlichen Küchentisch.
Da geht mein Handy.
Frau Bogenhausen-Wenderich ist dran.
Sie hätte einen Kunden gehabt, daher die Verspätung.
"Ich hatte um Rückruf auf Festnetz gebeten," knurre ich und schlucke ein großes Stück Huhn hinunter.
"Ich weiß," kiekst Mickeymäuschen Bogenhausen-Wenderich, "aber auf meinem Mobiltelefonbin ich auf "Antworten" gegangen und das ist dann wohl die falsche Nummer gewesen, oder?"

Unser Gespräch wird kurz. Obwohl ich erfahre, dass ich mit dieser Immobilie "sagenhaft gut aufgestellt" bin, finde ich die angebotene Wohnung zu klein, das wird nichts mit unseren gewaltigen Möbeln aus Mahagoni. Natürlich weiß ich, dass Ikeas Klappmöbel besser platziert werden könnten, aber was will man machen. Unser Mobiliar stand schon bei den Großeltern in Berlin und dahin soll es auch wieder zurück.
Suchen wir eben weiter.
Demnächst lande ich garantiert bei Mickeymäuschen 3 und vielleicht hat die etwas für uns. 140 qm mit Terrasse in Sonnenlage.
Wird schon...

 

Irgendwas ist ja immer...

Silvester ist nicht mein Ding.
Ich hasse die fröhlichen Feiern aus tiefster Seele und Menschen, die einen ganzen Abend und die halbe Nacht lang bei Minusgraden an einem Strand unserer norddeutschen Küsten verbringen, nur weil sie ein Radiosender Wochen vorher mit aufgesetzter Munterkeit dazu aufgefordert hat, halte ich für gestört. Das hat auch nichts mit dem Älterwerden zu tun. Schon mit zwanzig hätte ich für kein Geld der Welt und auch nicht für die schärfste Band des Universums vor Kälte klappernd das Neue Jahr begrüßt.
Leider fehlt es mir auch für Silvesterfeiern in geschlossenen Räumen an Enthusiasmus. Eventuell sind ein paar Feiern aus der Vergangenheit daran schuld.
Traumatisch wäre da eine Einladung unseres damaligen Steuerberaters zu nennen. Wir hatten Jahr für Jahr gut zusammen gearbeitet, sich zu einer privaten Feier zu verabreden, war ein gigantischer Fehler. Der Mann an meiner Seite hatte keine Lust, ich Schwachsinnige habe ihn dann dazu überredet in ein Neubaugebiet zu fahren, in dem geraffte Gardinen vor den Fenstern hingen und der Rasen mit der Nagelschere geschnitten wurde.
Auf unser Klingeln öffnete der Hausherr persönlich. Er trug eine Flasche Sekt im Arm, als wäre es sein Neugeborenes und sang dazu den Refrain eines mir unbekannten Stimmungsliedes: "Ich bin der Frauenarzt von St. Johann".
Das fanden alle Gäste zum Brüllen komisch.
Außer uns.
Vielleicht hatten wir auch etwas verpaßt, wir waren zu spät. Aber man mag mich humorlos finden - allein die Tatsache, dass jemand ein Frauenarzt ist, reicht nicht, um mich vor Lachen auszuschütten.
Was soll an diesem Beruf so komisch sein?
Um es kurz zu machen - der Abend geriet zum Fiasko.
Der Mann an meiner Seite fand schnell Anschluss, ein Teil der Gäste waren Anwälte wie er - ich versuchte derweil, mich unsichtbar zu machen.
Nach Genuss des üppigen Buffets wurde der Teppich beiseite gerollt - es durfte getanzt werden.
Ein unattraktiver Lehrer mittleren Alters sah mir intensiv in die Augen: " Wollen wir?"
Ich wollte nicht. Ich wollte nach Hause in mein Bett. Mit einer Wärmflasche und einem großen Becher Tee. Und einem schönen Buch.
Mein Versuch, den flotten Tänzer von seinem Vorhaben abzubringen, mißlang gründlich. Der Korb, den ich ihm gab, hatte seinen Ehrgeiz geweckt - er gab nicht auf.
Seine Fragen nach dem "warum" wurden drängender und der Abstand zwischen uns immer kleiner.
Zu Hilf!
"ICH MÖCHTE NICHT MIT IHNEN TANZEN"! Meine Stimme klang schrill.
Irritiert sah der Hausherr von seiner Musikanlage auf - gerade sollte "der Anton aus Tirol" die Stimmung zum Kochen bringen.
Mein Tänzer sah mich beleidigt an.
"Zicke" zischte er leise und zog von dannen.
Der Rest des Abends zog sich entsetzlich in die Länge, während eine beginnende Migräne unaufhaltsam hinter meiner Stirn zu pochen begann.
Eine Minute nach 24.00 Uhr verließen wir den Schauplatz. Der Hausherr hielt sich immer noch für einen Frauenarzt.
Es war uns eine Lehre.
Wenngleich noch einige öde Silvesterfeiern uns daran hinderten, glücklich und entspannt das Neue Jahr zu begrüßen, haben wir doch nie wieder derartig gelitten.
Mein schönstes Silvester feierte ich in Südfrankreich.
Ab 22.00 Uhr schlief ich ruhig und entspannt in das Neue Jahr hinein. Der Mann an meiner Seite komponierte noch so ein bisschen auf dem Keyboard vor sich hin und leise Musik begleitete mich in das Reich der Träume.
Dieses Jahr haben wir unsere "ältesten" Freunde eingeladen und bei einem ausgiebigen Essen all die Dinge wieder hervorgeholt, die wir bisher zusammen erlebt haben.
Es war schön.
Wir haben viel gegessen und viel gelacht.
Unsere Kinder hatten es nicht so entspannt.
Obwohl auch sie sich mit alten Freunden in deren gemütlichem Zuhause trafen, verbrachten sie den Silvesterabend vor Mitternacht auf dem Klo - ein fieser Magen-Darm-Virus hatte sie niedergestreckt.
Ihren Gastgebern brachten sie ein kleines Geschenk mit:
Deren Kinder rannten nach 24.00 Uhr zur Toilette - die Spuckschüssel in unmittelbarer Reichweite.
Die Eltern fanden in dieser Nacht nicht eine Minute Schlaf.
Auch nicht schön!

Irgendwas ist ja immer...

In meiner Familie wird Weihnachten auf sehr unterschiedliche Weise gefeiert.
Im Hause meiner Großeltern war es eine schöne Sitte, daß alle vier Söhne einen eigenen kleinen Tannenbaum im Kinderzimmer schmückten, bevor es gemeinsam in den Salon ging, wo unter einer Riesentanne die Geschenke lagen. Und obwohl es ein Fest der Liebe war, entbrannte jeweils ein heftiger Konkurrenzkampf um den schönsten Baum im Kinderzimmer. War das geklärt, ging es nach der Bescherung zu wie auf einem arabischen Basar. Während die Eltern ihre vier Sprößlinge in trautem Spiel wähnten, tauschten und feilschten diese um ihre Geschenke, dass es nur so krachte. Dietrich, der Älteste, war der Gemeinste, das Herrmännchen als Jüngster der Gerissendste. Nur waren Carli und Ernst als mittlere Brüder auch nicht auf den Kopf gefallen, so dass letztendlich keiner den anderen über's Ohr hauen konnte. Am Ende der heiligen Nacht aber war kein Gabentisch mehr, wie er sein sollte.
Da ging es am Heiligabend in unserem Elternhaus doch viel gesitteter zu. Allerdings waren wir auch drei Mädchen. Mädchen sind in der Regel viel besser erzogen, friedlich im Gemüt und viel weniger ausgekocht.
Meine Schwestern und ich warteten brav vor dem Weihnachtszimmer, starrten wenig später atemlos vor Entzücken auf den hohen Tannenbaum, an dem Lametta und Kringel hingen und an dem der Duft der Tanne sich mit dem Kerzenduft mischte, sagten brav mehr oder weniger stockend unser Weihnachtsgedicht auf und schmetterten alle Weihnachtslieder - sieben Strophen hintereinander.
Die Geschenke, die unter weißen Tüchern versteckt lagen, wurden weder getauscht noch dem anderen geneidet - allerdings bekamen wir regelmäßig auch das, was auf unserem Wunschzettel gestanden hatte.
Meine Mutter, der es jedes Jahr auf's Neue gelang, das Weihnachtsfest zu einem Event der Extraklasse zu machen, verabschiedete sich mit schöner Regelmäßigkeit gegen 23.00 Uhr aus dem Weihnachtszimmer:
"Kinderchen, bleibt so lange auf, wie ihr wollt, ich leg' schon mal die Beine hoch. Es war doch wieder recht aufwendig, das alles".
Und so verbrachte ich den Rest des Heiligen Abends mit meinem Vater unter dem großen Eßzimmertisch. Wir mußten uns um den neuen Puppenherd der Firma Heiliger kümmern...
Das Weihnachtsfest im Elternhaus meines Ehemannes verlief nicht ganz so harmonisch.
Erstens wurde vor der Bescherung gegessen, was die Kinder regelmäßig an die Grenze ihrer Belastbarkeit brachte. Zweitens gab es statt einer knusprigen Weihnachtsgans Zunge vom Rind. Die lag dann, leicht gebogen und mit pickeliger Außenhaut, auf der Bratenplatte und verbreitete eine vorwurfsvolle Stimmung. Es fehlte nur noch, dass sie leise vor sich hin gemuht hätte.
Drittens - und das war jetzt wirklich der Gipfel dessen, was Eltern ihren Kindern zumuten sollten - musste nach dem Essen noch abgewaschen werden. Hatte man Angst, das Christkind könnte empört den Schauplatz verlassen, weil die Küche nicht pikobello aufgeräumt war?
Wie mir der Mann an meiner Seite jüngst erzählte, hatte er sich einmal getraut, gegen diese barbarische Sitte zu intervenieren. Das Ergebnis war vernichtend:
Die beiden Söhne mußten mit dem Vater im Weihnachtszimmer warten, während die Mutter laut schluchzend das Geschirr mit der Abwaschbürste traktierte. Vorwurfsvoll blickte sie eine halbe Stunde später ihren Sohn an:
"Jetzt hast du mir das ganze Fest verdorben".
Über die Lok mit Kohletender der Firma Merklin hat sich mein Ehemann trotzdem gewaltig gefreut.
Die Wünsche meiner beiden Enkeltöchter sind da anderer Art. Wir gehen in der Regel vorher gemeinsam shoppen, was im weihnachtlich geschmückten Berlin zum Vergnügen wird. Neulich allerdings fand dieses Ereignis an einem nasskalten Nachmittag statt und neben mir trottete ein vierzehnjähriges klapperdürres Mädchen schnatternd vor Kälte vorbei an Lichterketten und verheißungsvollen Schaufenstern. An ihren Füßen waren Socken nicht zu erkennen - entweder sie hatte gar keine an oder sie waren so kurz, dass man sie nicht sehen konnte. Am Leib trug sie ein leichtes Sommerjäckchen, welches am Hals nicht geschlossen war. Einen warmen Schal suchte man vergeblich. Während ihre Zähne aufeinander schlugen, versuchte sie zu erklären, warum sie auf einen Schal verzichtet hatte:
Sie hatte ihn verliehen. An eine Freundin.
Mein dringender Appell, einen dicken Pullover zu kaufen, wahlweise eine warme Winterjacke und diese möglichst gleich anzuziehen, damit das Zähneklappern aufhörte, verhallte ungehört.
Wir haben dennoch eingekauft. Auf ihrem Gabentisch wird ein kurzes Baumwollshirt mit ebenso kurzen Ärmelchen liegen. Ich hatte nicht mehr die Kraft, mich dagegen zu wehren.
Morgen gehe ich einkaufen. Da ich mittlerweile ihren Geschmack gut kenne, ist das kein Problem. Nur etwas wärmer wird alles ausfallen. Ich finde, das ist mein großmütterliches Recht - komme was wolle.
Eine meiner älteren Schwestern hatte vor Jahren ein ganz anderes weihnachtliches Problem:
Da sie die gesamte Familie zum Essen eingeladen hatte, stopfte sie einen gewaltigen Puter in die Bratröhre und versuchte Stunden später, ihn dort wieder herauszuholen.
Es war, als wäre er im Backofen gewachsen.
Festgewachsen.
Kurz - er ließ sich nicht mehr hervorholen. Erschwerend kam hinzu, dass die Schwiegermutter meiner Schwester mit guten Ratschlägen das verzweifelte Unternehmen kommentierte. Eine Tatsache, die die Hausfrau mit einem letzten energischen Ruck an dem Bratrost zerren ließ. Daraufhin löste sich dieser aus der Verankerung und der fettige heiße Puter knallte meiner Schwester entgegen. Bratfett, Puter und Füllung rutschten durch die Küche, während die Schwiegermutter sicherheitshalber den Schauplatz verließ.
Jeder hat schließlich ein Recht auf eigene Katastrophen.
Dem geht die Familie meiner französischen Verwandtschaft elegant aus dem Weg.
Hat schon der Franzose an sich überhaupt keinen Bock auf den ganzen Schmus am Heiligabend und sitzt stattdessen lieber fünf Stunden über einem opulenten Menue, so ist dieses Thema bei dem Mann meiner Nichte Natalie ein ausgesprochenes Reizthema. Ohne Mutter aufgewachsen fehlt ihm jegliches Verständnis für geheimnisvolle Überraschungen, Tannenduft und Weihnachtslieder. Meistens verreisen sie und gehen so allem aus dem Weg. Natalies Mutter, meine Schwester, kommt derweil gern für ein paar Tage zu unserer Großfamilie nach Berlin.
Dort gibt es jede Menge Geschenke, die Stimmung könnte nicht besser sein und nach der Bescherung sitzen alle ganz entspannt am großen Esstisch bei Entenbraten und gutem Rotwein.
Ich liebe dieses Fest von ganzem Herzen.
Mal so gesehen...

Irgendwas ist ja immer...

Es gibt nichts Besseres als den Feierabend. 
Nie habe ich genug Zeit.
Ich renne den ganzen Tag wie ein rosa Duracelhase meinem übervollen Zeitplan hinterher und sinke abends aufatmend auf das gemütliche Sofa. Füße hoch und Fernseher an.
Fertig!
Leider habe ich ein Problem mit der Werbung vor acht.
Mittlerweile hasse ich die "gelbe Schmerzcreme aus der Apotheke" und den Treppenlift, auf dem ein fröhlicher Rentner das vergessene Täschchen seiner Angetrauten aus dem oberen Stockwerk holt. Was die aber auch alles liegen läßt! Eigentlich ein Fall für "Gingium gegen Gedächnisschwäche". Ich hoffe, sie sieht mal die Werbung, wo der Großvater im Auto verzweifelt versucht sich zu erinnern, ob er "das Geschenk für die Kleine" auch eingepackt hat. Vor allen Dingen deshalb, weil seine Frau ihn dabei scharf von der Seite fixiert. Da hat er den totalen Ausfall. Soll die sich doch selbst erinnern, ob die Nachbarin den Schlüssel hat. Aber dann strahlt der Großvater über's ganze Gesicht - er hat an alles gedacht. Weil er nämlich Gingium genommen hat. 
Jawohl!
Endlich wird das fröhliche Rentnertreiben unterbrochen:
"Wetter vor acht" wo mir eine scharfe Blondine mit kräftigen Beinen, die in langen schwarzen Stiefeln und hautenger Hose stecken, das fiese Tief "Theo" zeigt und "Börse vor acht", wo Markus Gürne mir kaltlächelnd einen Kursrutsch um die Ohren haut und natürlich die Nachrichten.
Davor bringt allerdings noch ein smarter Typ seiner Mitreisenden im Wohnmobil einen frischen Espresso ans Bett, kauft bei einem griechischen Händler frischen Fisch und brät ihn dann.
Brät Fisch. 
Im Wohnmobil. 
Bis sie, eingewickelt in ein weißesFrotteetuch, mal schelmisch in die Pfanne lugt. 
Das alles ist natürlich reine Fiktion. 
Den Kaffee dürften 95 % aller Frauen morgens im Urlaub selber machen müssen und wenn man frischgeduscht sieht, dass im engen Wohnmobil Fisch (!) gebraten wird, wobei der Geruch mindestens drei Tage im Raum hängen wird, ist es eher wahrscheinlich, dass man mit einem schrillen Schrei den beflissenen Koch auffordern wird, sich den schuppigen Fisch sofort zu schnappen und gefälligst draußen zu grillen. 
Da die Zielgruppe der Fernsehzuschauer zu der Sendezeit im Rentenalter sein dürfte, ist dieser Spot sowie völlig am falschen Platz. Wer seit vierzig Jahren verheiratet ist, bringt seiner Frau weder Kaffee ans Bett, noch brät er für sie Fisch. 
Da sind die Rollen längst verteilt - Mutti kocht und Vatti sieht Sportschau. Nix ist mit schneeweißem Frotteeturban auf frischgewaschenem Langhaar und kühlem Weißwein im Sonnenuntergang am Meer. 
Immer noch keine Nachrichten. 
Dafür kommt's jetzt knüppeldick:
Prostagutt Forte gegen nächtlichen Harndrang, Vitasprint, damit man auch im hohen Alter "gegen den Enkel eine Chance hat" und ein ekelhaftes Tier, das sich an die Beine einer armen Frau klammert, die scheinbar immer noch nicht weiß, dass sie gegen ihr Venenleiden Antistax braucht. Diese Dumme aber auch. Dabei wird jeden Abend mindestens dreimal darauf hingewiesen. 
Da will ich doch lieber beim Farber-Renten-Lotto gewinnen. Ich bin begeistert. Irgendwie habe ich den Eindruck, mein Einsatz wäre völlig kostenlos. Und ein Gewinn ist bombensicher. Sorgen über meine Zukunft muss ich mir nicht mehr machen. "1000,00 € jeden Monat, zehn Jahre lang", verkündet eine in die Jahre gekommene Blondine und strahlt über ihre Pausbacken. 
Das will ich auch. Echt super!
Aber das Schlimmste von allem, das, wo ich inzwischen hektisch den Abschaltknopf auf der Fernbedienung suche, das ist die Apothekenrundschau!
 Großfamilie Sonnenschein beim Baden und Opa läßt sich von seinen ungeratenen Enkeln den Ball auf den Kopf knallen, was eigentlich im hohen Alter ziemlich weh tun muss. Alle lachen sich über ihn halb schlapp, sind gesund und fühlen sich o.k., weil Mutti unter heftigem Kopfnicken mit der Apothekerin mal alle Zipperchen der Familie durchgesprochen hat. 
Es gibt nichts Schlimmeres.
Nichts?
Doch!!
Im Radio!
Wenn die Stimme ertönt: "Weischt, Karle, gut, des wir des Seidebacha Bergschteigermüsli gessen hännt. Seidebacha. Des Müsli vom Seidebacha".
Dann finde ich, ist die Grenze dessen, was man dem wehrlosen Hörer zumuten kann, überschritten. Es kann ja sein, dass man nicht gleich zum Radio sprinten kann, um den Aus-Knopf zu drücken, weil man grade eine komplizierte Sauce zusammenrührt oder sich die Nägel lackiert. Dann nämlich wird das dämliche Geschwäbel zum Albtraum und ich zum wehrlosen Opfer.
Vielleicht hat ja der liebe Gott mal ein Einsehen und läßt Karle und seinen Kumpel vom Gipfel fallen. Trotz des Müslis am Morgen. 
Das wäre schön...
 

Irgendwas ist ja immer...

Unsere Bundeskanzlerin krempelt jetzt aber wirklich die Ärmel hoch. Den Blick verschwörerisch gen Himmel gerichtet, als hätte sie mit unserem Herrgott ein ganz persönliches Abkommen getroffen, den blauen Blazer straff über Brust und Hüfte geknöpft, kündigt sie jetzt endlich zusätzliche Anstrengungen im Kampf gegen den Terrorismus und andere Bedrohungen an.
Toll!
"Wo immer sich Lücken ergeben, müsse man nachsteuern und sich neue Varianten der Sicherheit überlegen".
Jawoll!!
"Vor allen Dingen mehr Polizei".
Na, das  hört doch der deutsche Bürger gern. Mehr Polizeipräsenz allerorten kommt immer gut an.
Währenddessen überlegt sich die Kanzlerin auch noch neue Varianten der Sicherheit. 
Wie jetzt???
Kann man das auch etwas genauer formulieren? Oder geht sie da konform mit ihrem Innenminister, der uns Deutsche vor nicht allzu langer Zeit mit dem Satz verwirrte: 
"Die Lage war so ernst, dass wir nach vielerlei Abwägungen, die auch bis zum Nachmittag zu einem anderen Ergebnis geführt hätten, sehr schnell der Auffassung waren, dass eine Durchführung nicht zu verantworten war".
Hä???
Über ein denkbares Burka-Verbot äußert sich die CDU-Chefin ausweichend, aber mehr Polizei, das kommt klar und deutlich rüber. 
Dabei wäre das gar nicht nötig.
Deutschland hat schon eine Unmenge von zusätzlichen Polizisten. Sie sind überall zu finden. Vor allen Dingen aber sitzen sie auf einer Parkbank an den Parkplätzen des Segeberger Klinikums. 
Und gerade da, genau vor dieser Parkbank, will ich einparken. Zugegeben, die Parklücke ist nicht besonders groß. Eigentlich ist sie ziemlich klein. 
Macht nix, ich habe ja das Park-Pieps-System in unserem TIguan. Hinten. Vorn kann ich die Lage selber kontrollieren. 
Vier Augenpaare beäugen scharf jede meiner Lenkbewegungen. 
Nach einigem Hin und Her bin ich drin. In der Parklücke. Der Mann an meiner Seite steigt ganz entspannt aus, ich auch. Sogar unser Hund ist ganz entspannt. 
Wir sind schon fast auf dem Weg zu einem leckeren Cappuccino in dem kleinen Cafe am See, da werden wir zurückgepfiffen:
"Das ist Fahrerflucht!"
Perplex drehe ich mich um. 
Wer da so gut aufgepaßt hat, entpuppt sich als korpulenter Mittfünfziger im ballonseidenen Jogginganzug. Wahrscheinlich ein Insasse der Klinik. Drei weitere Insassen nicken im Takt zu dem Gesagten wie drei Wackeldackel.
"Sie haben den angefahren und jetzt wollen sie sich aus dem Staub machen". Sein ausgestreckter Zeigefinger weist auf einen alten Renault, der hinter mir steht und an dessen Stoßstange nicht die allerkleinste Schramme zu sehen ist. Ich habe noch nicht einmal etwas von dem Schmutz an der Stoßstange verwischt. 
Vorsichtshalber gehe ich in die Knie und untersuche auch die Stoßstange unseres Autos.
Nichts! Nicht die geringste Schramme oder Beule. 
Die vier Augenpaare von der Parkbank versuchen, mich mit ihren Blicken am Tatort festzunageln.
Was soll ich machen? Ich kann noch nicht einmal einen Zettel unter den Scheibenwischer des Renault klemmen, um einen Schaden zu melden. 
Es gibt keinen Schaden!
Das sieht der Ballonseidene anders:
"Der Wagen hat einen richtigen Satz nach hinten gemacht, so sehr haben sie ihn angestoßen. Wenn sie jetzt weggehen, rufe ich die Polizei". Zur Bekräftigung wedelt er mit seinem Handy hin und her. 
Jetzt platzt dem Mann an meiner Seite der Kragen: 
"Geben sie schon das Handy her, ich rufe jetzt selber die Polizei".
Die ist gar nicht erfreut, bei solchen Bagatellfällen kommt eine Streife höchst ungern, sie haben genug zu tun mit den Demonstrationen der Rechten und Linken. Aber es nützt nichts, die Vier von der Bank sehen mittlerweile aus, als würden sie mich persönlich an die Bank fesseln, sollte ich den Versuch machen, mich zu entfernen. 
Nach zehn Minuten, in denen unser Hund an der Leine zerrt, weil er am See entlanglaufen  möchte und mein Appetit auf einen Cappuccino sich ins Unermeßliche steigert, kommt ein Streifenwagen. Zwei junge Polizisten, die in ihren schmucken schwarzen Uniformen aussehen wie aus "Notruf Hafenkante", steigen aus und hätten gern was zum Sachverhalt gehört. 
Das übernehme ich und lächele beide verschwörerisch an. So ganz nach dem Motto: Mal ganz unter uns, Jungs, ich weiß auch nicht, was dieser ganze Unfug soll.
Beide Polizisten untersuchen die Stoßstange des Renault, sehen sich unser Auto an und wenden sich dann den vier Zeugen auf der Parkbank zu. 
"Was soll das jetzt? Da ist kein Schaden zu sehen."
Jetzt kommt der Ballonseidene in Fahrt: "Die Frau hat den Renault so weit - er zeigt eine große Spanne mit den Armen an - nach hinten geschoben. Der hat einen richtigen Satz gemacht". Die anderen drei Köpfe nicken dazu.
Der Polizist drückt auf die Kühlerhaube des Renault und wippt kurz hin und her. Dann sieht er in den Innenraum des Autos.
"Der Wagen kann sich noch nicht einmal zwei Zentimeter bewegt haben. Die Handbremse ist angezogen".
Der Ballonseidene beharrt auf seiner Meinung, aber die Polizisten haben jetzt die Faxen dicke. Sie erklären mir, dass ich mich vom Tatort entfernen könne, meine Personalien hätte man, aber ich würde mit Sicherheit nichts mehr von dieser Sache hören. Schönen Tag noch.
Der Ballonseidene macht einen letzten verzweifelten Versuch:
"Aber meine Personalien, wollen sie die nicht aufnehmen?"
"Ne, ne, lassen sie mal", knurrt einer der Polizisten. Er will jetzt endlich zurück auf die Wache. 
Und wir wollen endlich zum Cafe am See. Cappuccino und Törtchen ordern. Und uns in dem sicheren Gefühl wiegen, dass uns in diesem Land nichts passieren kann, so lange es Männer auf Parkbänken gibt. 
Vielleicht ist das eine der neuen Varianten, von denen unsere Kanzlerin gesprochen hat. Vielleicht führt sie ihr Weg ja einmal nach Segeberg. Und dann bekäme der Ballonseidene endlich sein erhofftes Lob ausgesprochen.
Vielleicht...
 

Irgendwas ist ja immer...

Aus und vorbei!

Deutschland ist raus!
Meine Laune ist schlecht. Ganz schlecht.
Gestern waren in Marseille 32°, bei uns regnet es heute durchgehend. Meine Stimmung wird dadurch nicht besser. Am Nachmittag halte ich es im Haus nicht mehr aus, nehme unseren Hund an die Leine und mache einen Gang durch die Stadt. 
Im strömenden Regen. 
Einen Autofahrer, der mit flottem Tempo an uns vorbeirast, könnte ich steinigen. Er fährt durch eine Spielstrasse und hier sind höchstens 20 km/h erlaubt. Weiß er wahrscheinlich nicht. Oder sein aufgemotzter BMW kann so langsam nicht fahren. Er fährt durch eine Riesenpfütze, das matschige Wasser habe ich dann auf und in meinen Schuhen und der Hund ist pitschnass. 
Auch das noch.
Zum Halbfinalspiel hatten wir eine Fahne aus dem Fenster gehängt. Hat auch nichts genützt. 
Wir hatten Freunde eingeladen. Vor dem Spiel gab es französischen Rotwein, Roche Mazet, französischen Käse und Baguette. Vielleicht war das ein böses Omen. Vielleicht hätte ich Weißwurscht und Sauerkraut servieren sollen. Dazu ein zünftiges deutsches Bier.
Zu spät. 
Wir wurden immer stiller. Und nach dem 2:0 wurde ich von einer bleiernden Müdigkeit erfasst. Ich wußte mit tödlicher Sicherheit: Das Spiel ist gelaufen. 
Außerdem vertrage ich keinen Rotwein. Nach zwei Gläsern fallen mir unweigerlich die Augen zu.
Unser Schwiegersohn, dessen Aufgabe es als Psychologe ist, Menschen mittels Coaching die Angst zu nehmen, soll nach diesem Spielstand mit kreidebleichem Gesicht und den Worten "Das war's" den Raum verlassen haben. Er ist dann auch nicht  mehr wiedergekommen, sondern hat die Einsamkeit seines abendlichen Büros gesucht.
Da kann man mal wieder sehen - gute Ratschläge helfen immer nur den anderen.
Unsere Tochter hoffte als Optimistin, die sie ist, restliche achtzehn Minuten lang, es könnten noch zwei Tore fallen. 
Für Deutschland!
Zwei!!!
Jetzt ist sie genau so deprimiert wie ich. Was interessieren wir Frauen uns auch für Fußball - selber schuld. Wir haben Freunde, da ist die Ehefrau der Fan. Sie kennt jeden Spieler und kommentiert fachlich einwandfrei jedes Spiel. Ihr Ehemann ist am Fußball völlig desinteressiert. 
Auch selten.
Halb Deutschland hat schon zum Finalspiel am Sonntag eingeladen. Grillen und dann Fußball gucken. Mit Mats Hummels, der wieder gedurft, mit Müller, der garantiert seine Torblockade überwunden, mit Boateng, der nicht mehr Oberschenkel und mit Kimmich, der seinen Pass nicht verstolpert hätte, wie im Halbfinale.
Mann!!
Und jetzt?
Es war so schön mit Euch, Jungs. Elfmeter schießen und Manuel Neuer hielt. Was für ein Viertelfinale. Wir waren dabei - also so gut wie. Haben gejubelt, gefiebert, die Luft angehalten, sind rausgerannt, weil die Spannung zu groß war und eine Frau neben mir sagte leise bei jedem versenkten Tor der Italiener: Scheiße, Scheiße, Scheiße. 
Ihr wart unsere Helden. Danke dafür.
Müssen wir uns jetzt eben auf die nächste WM freuen. Sind ja nur noch zwei Jahre.
Und - mal ganz ehrlich - ein wenig gönne ich auch den Franzosen den Sieg. Sie können ein Glücksgefühl in diesem Jahr gut gebrauchen. Vielleicht werden sie ja sogar Weltmeister und vielleicht hilft es der Grand Nation aus dem Tal der Tränen heraus. Terror und eine hohe Arbeitslosigkeit sind keine gute Perspektive in diesen schwierigen Zeiten. 
In all meinem Elend bin ich nur über eines froh: Dass unsere Jungs nicht gegen Portugal verloren haben. Unser Jogi, einsam vor der leeren Tribüne mit Blick auf Ronaldo in Siegerpose wäre mehr als ich hätte verkraften können.
Und schließlich: Wir waren die bessere Mannschaft. Sagt Jogi.
Und der muss es ja wissen.

Irgendwas ist ja immer...

Wir sehen gern Fußballübertragungen, der Mann an meiner Seite und ich.
In Frankreich ist das ein wenig problematisch, da wir hier nicht im Besitz eines Fernsehers sind. Wir wollen lesen, relaxen und Sport machen. Fernsehen wollen wir nicht. Mit Ausnahme eben von Fußballübertragungen.
Aber das ist kein Problem.
Am Plage Débarquement, ganz in der Nähe unseres Wohnortes an der Cote d'Azur, gibt es das Strandrestaurant  L'Oasis. Gabriele R. aus Lahr fasste es in ihrer Internetbeurteilung so zusammen: Günstig, erfrischend und nett.
Da es direkt am breiten Sandstrand liegt, kann man bei einem kalten Rosé in der Abendsonne sitzen und den Tag ausklingen lassen. Oder frische Muscheln essen. Je nachdem.
Der Beurteilung gibt es wenig hinzuzufügen.
Außer der Tatsache vielleicht, dass Carinne und ihre Mädels uns inzwischen mit "Kuckuck " begrüßen - wir sind seit Jahren treue Gäste. 
Und der Tatsache, dass im hinteren Raum des Restaurants, in welchem übrigens immer noch die Silvesterdekoration vom Vorjahr hängt, ein großer Fernseher steht. 
Er ist immer an, egal ob jemand davor sitzt oder nicht. 
Vor dem Gerät steht ein altes Ledersofa in lichtem Blau, flankiert von ausgemusterten Korbstühlen. Rechts und links vom Sofa stehen leere Bierkästen und manchmal hängen Tischtücher zum Trocknen darüber. Aus hohen Lautsprechern wummern Hits der siebziger Jahre und übertönen so den Nachrichtensprecher des Fernsehprogramms.
Carinne hat ein Herz für deutsche Touristen, die Jogi Löws Mannschaft über den Platz rennen sehen wollen. Wann immer wir mit flehendem Blick vor ihr stehen und um Television "Fuuddboool" bitten, greift sie zur Fernbedienung, zappt auf die Nummer 467 oder auch wahlweise 468 und wir sind dabei. 
Es ist immer interessant, dort im L'Oasis. Mal kommt der Pizzabäcker des Restaurants bei uns vorbei, bleibt stehen, fragt nach dem Spielstand und sieht eine Weile zu. Gäste, die eigentlich zur Toilette wollen (sie liegt direkt nebenan) fragen, wer spielt. Engländer kommentieren gern das Ergebnis und kleinen Kindern, die die Toilette nicht finden, müssen wir den Weg zeigen. 
Heute hatten wir das Vergnügen, ein Testspiel unserer Nationalmannschaft gegen Slowenien zu sehen. 
Um es vorweg zu nehmen: Es war kein Vergnügen.
Zwar wurde Götze im Elfmeterraum gefoult und Gomez, der diesmal die Haare nicht schön hatte, durfte trotzdem einen Elfmeter schießen - das war's dann aber auch schon. Der Gegner erwies sich als wesentlich torfreudiger und am Ende der Halbzeit stand es 2:1. 
Gegen Deutschland!
In der Pause gab es wolkenbruchartige Unwetter und als die Mannschaften endlich wieder auf den Platz durften, rutschten unsere Jungs nur so durch die zweite Halbzeit. 
Jogi Löw guckte böse und Müller-Wohlfahrt, der alte Apache, kam auch mal ins Bild, konnte aber letztendlich mit all seinem ärztlichen Können auch nichts am Endergebnis ändern: 
Slowenien schlug Deutschland 3:1!
Uns! Die Deutschen! Die Weltmeister!
"Not so good" bemerkte ein junger Engländer und begab sich kopfschüttelnd zum Klo.
In einer Woche ist noch ein Testspiel, diesmal gegen Ungarn. Wenn Jogi diesmal wieder ter Stegen statt Neuer ins Tor stellt, bekomme ich Herzrasen. 
Am 10. Juni beginnt die EM. Bis dahin sollten unsere Jungs das aber im Griff haben, oder???
 

Irgendwas ist ja immer...

Ich brauche einen neuen Badeanzug. 
April ist keine gute Zeit für solch einen Kauf. Erstens sitzen die ganzen Kringel und Marzipanschweinchen aus der Weihnachtszeit immer noch wie Blei auf den Hüften und zweitens ist der Körper winterblass.
Eigentlich könnte ich warten, bis ich in der Oase aller Bademoden in St. Tropez bin, um mich dort zu informieren, was denn die Schönen und Reichen in diesem Jahr so tragen. Aber, um ehrlich zu sein, so etwas möchte ich nicht. Wenn ich bei meinem Frisör in die "Gala" sehe, frage ich mich oft genug, warum sich so viele Frauen leichten Herzens zum Affen machen. Haben die keinen Spiegel? Oder glauben sie allen Ernstes durchgeknallten Modedesignern, dass deren wie auf Speed entworfene Mode sie schöner macht? 
Am liebsten möchte ich ein ganz sportliches Model. So einen Profibadeanzug,  schwarz mit den berühmten weißen Streifen an der Seite. Wenn ich schon nicht schwimme wie ein Sportler, möchte ich wenigstens so aussehen. Und so etwas gibt es nicht an der Cote d'Azur.
Der Mann an meiner Seite möchte mitkommen, was ich mit ganz gemischten Gefühlen annehme. Bei so einem kniffeligen Kauf bin ich ehrlich gesagt gern allein. Aber vielleicht ist es nicht schlecht, eine zweite Meinung einzuholen. Ich habe mal gelesen, dass man vor dem Spiegel nicht objektiv ist und sich immer von seiner besten Seite her betrachtet.
Das ist in dem Sportkaufhaus, in das wir uns begeben haben, zu meinem großen Entsetzen nicht möglich. Hier gibt es vor dem Spiegel keine beste, noch nicht einmal eine halbwegs gute Seite.
Ich probiere ein sportliches Modell, welches den Rücken allerdings mit diversen Schnüren einengt (wieso nimmt man auch am Rücken zu??), und als ich es endlich übergezogen habe, bietet sich mir in erbarmungslosem Neonlicht folgendes Bild:
Da es ein kalter Tag ist und ich nicht weiß, wer alles vor mir mit nackten Füßen auf dem nicht mehr ganz neuen Teppichboden der Umkleidekabine gestanden hat, habe ich meine dicken Socken lieber anbehalten. Dasselbe gilt für meine Wäsche. Wer weiß, was vorher schon alles im Modell "Performance" gesteckt hat. Leider guckt meine Unterwäsche rechts und links am Beinausschnitt von "Performance" hervor, was irgendwie blöd aussieht. Meine winterliche Haut sieht genau so blass aus, wie sie ist. Man kann es gut sehen, weil ein Spiegel frontal, zwei Spiegel an den Seiten und ein weiterer so angebracht ist, dass man sich von hinten gut betrachten kann. 
In einem Licht, welches meinen Körper leicht grünlich wirken lässt.
Und so ist es gut zu sehen, dass "Performance" im Rücken aus einem Guckfenster besteht, welches mit kreuzweise angebrachten Trägern straff gehalten wird. Dieses modische Detail hat zur Folge, dass man das Modell mindestens zwei Nummern größer braucht - sonst schneiden die Träger erbarmungslos in die Haut ein und das macht die Trägerin nicht schöner. Auf dem Bügel sah "Performance" eigentlich groß genug aus, läuft das Modell ein, wenn es Körperkontakt bekommt?
Von vorn geht es, obwohl - wenn ich ganz ehrlich bin - auch hier die nächste Größe nicht schlecht wäre. 
Was um Himmels Willen hat sich Addidas dabei gedacht? Kann man Größe 38 nicht wie 38 zuschneiden? Ist denen nicht klar, dass es psychisch ganz ganz schlecht ist, wenn im Vorjahr noch Gr. 38 passte und jetzt plötzlich wie aus heiterem Himmel Gr. 42 sein muss? Haben die keine Ahnung von Frauen?
Der Mann an meiner Seite wird langsam vor der Umkleidekabine unruhig. "Kann ich schon mal gucken?"
"Neiiiin, kannst du nicht, bleib draußen!"
Runter mit dem Ding, rein in die warmen Sachen und raus aus dem erbarmungslosen Licht, ich will nach Hause. 
Wenn ich Bademoden verkaufen würde, würde ich die Umkleidekabine mit weichem Licht ausstatten, lediglich einen Frontspiegel in bräunlichem Glas aufstellen (am Strand sieht man sieht man sich ja auch nur von vorn), eine Fototapete mit blauem Meer und Palmen rings um den Spiegel anbringen und mit leiser Musik und Wellenrauschen hawaimäßiges Feeling verbreiten lassen. 
Übrigens sah ich neulich am Strand ein weibliches Wesen mit einem "Performance" nicht unähnlichen Badeanzug. Das Guckloch auf dem Rücken saß locker dort, wo es hingehörte - alle Schnüre drumherum ebenfalls. Auch von vorn hatte "Performance" noch ordentlich Spiel. 
Die Trägerin war ein kleines Mädchen von neun Jahren!
Geht doch...

Irgendwas ist ja immer...

Unser Freund Rob ist tot. 

Einfach so. Wir waren noch zum Essen verabredet mit ihm und seiner tollen Frau Mirelle, in dem kleinen Strandrestaurant, wo man mit den Füßen im Sand sitzt und lecker Rotwein trinken und über Robs lustiges Deutsch lachen kann. Rob ist nämlich Holländer.

Und dann hat das Telefon geklingelt und Mirelle war kaum zu verstehen, weil sie vor lauter Schluchzen nicht sagen konnte, dass es Rob nicht mehr gibt. 

Drei Tage später haben wir von ihm Abschied genommen. Erst einmal im Sterbehaus. Das ist hier in Frankreich so etwas wie ein Aufbahrungshaus, in dem die Toten verbleiben, bis sie bestattet werden. 

Es ist 12 Uhr und ein heißer Tag im September, als wir auf den Vorhof des Sterbehauses fahren. Kein Baum spendet dort Schatten und Robs Familie, seine Freunde und Mirelle, die Herrn de Fries völlig abwesend an der Leine hält, als wäre er ein Steiftier und nicht Robs flauschiger kleiner Hund, stehen traurig in der prallen Sonne und warten. Auf unsere Frage: "Worauf warten alle?" erfahren wir, dass der Wagen, der Rob zum weit entfernten Krematorium bringen soll, noch nicht da ist. Die Fahrer müssen erst zu Mittag essen.

?????????

(Eine Erklärung: Wir sind in Frankreich und der Leser weiß inzwischen, dass das Mittagessen in diesem Land in etwa so heilig ist, wie der Ramadan für die Moslems). Es ist eine Erklärung, eine Entschuldigung ist es nicht. Man kann nicht 20 Menschen in der Mittagssonne stehen lassen, weil man essen möchte. Nichtfranzosen halten es immerhin für eine Möglichkeit, vorher oder hinterher zu essen - sozusagen: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen...

Ich nehme daher erstmal meinen ganz persönlichen Abschied von unserem Freund Rob und versichere ihm, was für ein toller Typ er war und was für ein lieber Freund. Ich bin unendlich traurig, weil Robs Seele sich natürlich schon auf eine lange Reise begeben hat und sein Gesicht nicht mehr verschmitzt lächelt und seine Augen nicht mehr blitzen. Es ist, als läge auf der Bahre nur eine Hülle.

Als die zwei Leichenwagenfahrer dann endlich eintreffen, verschwinden sie mit wichtigem Gesicht im Sterbehaus. Danach - geschieht nichts. 

Wir alle warten weiter. Mittlerweile wird die Zeit knapp, weil es bis zu dem Krematorium in dem kleinen Örtchen Vidauban noch eineinhalb Stunden Fahrtzeit sind und irgendwie muss man ja auch im Zeitplan bleiben. Selbst in Frankreich. 

Herr de Fries ist inzwischen völlig durch den Wind, sein Herrchen fehlt ihm und sein Frauchen ist im Moment nicht von dieser Welt. Außerdem hat er Durst. Wir haben in unserem Auto immer eine Hundeschale für Wasser dabei und da es im Sterbehaus einen Wasseranschluß gibt, kann ich die Schale vollfüllen und Herr de Fries säuft, als wäre er durch die Wüste gelaufen. 

Endlich fragt jemand von den Freunden, warum es jetzt immer noch nicht los geht. Die Antwort: Erst muss ein Polizist den Leichnam freigeben, bevor der Sarg geschlossen wird. Und der Polizist ist - beim Mittagessen! 

 Irgendwann muss er aber mit Vorspeise, Hauptspeise und Dessert fertig geworden sein, denn er fährt wichtig vor, verschwindet ebenfalls wortlos im Sterbehaus und nach fünf Minuten fährt der Leichenwagen mit nunmehr fast zwei Stunden Verspätung los. 

Ich setzte mich hinter's Steuer und fahre mit dem Mann an meiner Seite dem Konvoi hinterher. Vor uns fährt eine Freundin des Hauses in einem uralten klapperigen Renault und wir hoffen, sie wird die ganze Strecke unbeschadet überstehen.

Jetzt passiert Folgendes:

Um den Zeitverlust aufzuholen, jagt der Fahrer des Leichenwagens das Gefährt über die Piste, durch Kreisverkehr und über die gemeinen Schikanen, die auf Frankreichs Straßen verhindern sollen, dass die Autofahrer in den Ortschaften mit 80 Sachen Kinder und Rentner gefährden. Mit Schrecken dachte ich daran, wie es würde, wenn wir die gefährliche Serpentinenstraße nach Vidauban erreicht hätten. Gott sei Dank hetzte die Freundin aus dem klapperigen Renault ihre Tochter mitten auf dem verkehrsumtosten Kreisverkehr nahe St. Tropez bei Rot vorn zum Leichenwagen, um dessen wahnsinnigem Fahrer mitzuteilen, dass bei einer derartigen Geschwindigkeit ihr Wagen schlappmachen würde. 

Endlich schlug man ein etwas gemäßigteres und würdevolleres Tempo an, um mit ca. 1 1/2 Stunden Verspätung in Vidauban anzukommen. 

Wir wurden sehnsüchtig erwartet. 

Nicht nur von den Angestellten des Krematoriums, die mit ihrem Zeitplan völlig durcheinander gekommen waren, sondern auch von der nachfolgenden Trauergesellschaft. Vorwurfsvolle Blicke trafen uns, während drei ehemalige Kameraden des dortigen Verstorbenen in Uniformen gekleidet waren, die an eine Truppengattung der schweren Kavallerie erinnerten. Einer trug die "drapeau tricolore", die französische Flagge und es war ihm anzusehen, dass hier ein äußerst wichtiges Mitglied der französischen Gesellschaft zu Grabe getragen werden sollte.

Robs letzte Feier auf Erden wurde dann in rasender Eile vorgenommen, ein Freund der Familie hielt eine kleine Rede, teils auf holländisch, teils auf französisch. Ich verstand beides nicht, sah aber indessen, dass jemand in den Wassernapf für Herrn de Fries getreten war, welchen ich ihm vorsorglich schnell hingestellt hatte. Auch auf der langen Autofahrt hatte eine Bullentemperatur geherrscht. Vor Schreck stieß ich einen lauten Seufzer aus, so dass die Frau neben mir mich sorgenvoll ansah und mein Mann mich vorsichtshalber am Arm festhielt.

Aber als zum Schluß der Ansprache Mirelles Abschied "Mon Ami, mon Amour" vorgelesen wurde, liefen mir meine Tränen ungebremst über das Gesicht.

Draußen tranken wir alle einen Schluck Champagner, Rob hätte es so gewollt und Mirelle wurde so oft in die Arme genommen, dass ihre schmale Gestalt Schaden zu nehmen drohte. Aber irgendwann gegen drei Uhr nachmittags forderte unser aller Magen sein Recht (im Gegensatz zu dem Polizisten hatten wir noch nichts gegessen), unsere englische Freundin Jane murmelte ebenfalls: "Oh, so hungry" und so verfrachteten wir sie in unser Auto, um auf dem Rückweg in La Garde Freinet, einem hübschen Gebirgsstädtchen, eine Kleinigkeit zu essen.

Dies allerdings erwies sich als unmöglich. La Garde Freinet lag in seiner ganzen Schönheit sanft verschlafen in der sommerlichen Hitze da - kein Restaurant hatte geöffnet, alle Läden waren geschlossen. So lauerten Jane und ich vor einem Bäckereiladen, bis er um vier endlich öffnete, während der Mann an meiner Seite schon mal Café au lait in einem Bistro orderte. In Windeseile stopften wir zuckersüße Törtchen in uns hinein und spülten mit starkem Kaffee alles hinunter.

Danach war uns übel. 

Den Rest des Tages verbrachten wir in erschöpftem Schweigen.

Sterben ist nichts für Feiglinge, für die Hinterbliebenen allerdings auch nicht.

Wir hofften, die Zeit danach würde für Mirelle erträglich...

Irgendwas ist ja immer...

 Ich habe es eilig. 

Der Mann an meiner Seite bleibt bei der Bullenhitze im Auto, weil wir einen Platz in der Tiefgarage des Supermarktes gefunden haben und es dort bei geöffneten Autotüren schön kühl ist. Unser Hund hechelt zum Gotterbarmen.

Ich rase los - mein Mann wartet nicht gern. Außerdem hat er Hunger und das macht seine Laune in der Regel nicht besser.

Nach fünf Minuten habe ich bei der ganzen Hin- und Herrennerei vergessen, wo ich meinen Einkaufswagen hingestellt habe, finde ihn aber Gott sei Dank schnell wieder. Jetzt halte ich ihn aber gut fest und suche die göttlichen Karamellbonbons, die es nur hier gibt. Leider sind sie nicht an ihrem angestammten Platz - Sortiment umgeräumt?

Dafür sehe ich etwas anderes: Ein kleiner alter Mann, der einen etwas verwahrlosten Eindruck macht, sieht mich aus der Entfernung aufdringlich an. Was will der von mir?

Solche Leute ignoriert man am besten, sage ich mir und suche im nächsten Gang.

Das Männlein kommt näher und sieht einfach in meinen Einkaufswagen. Das finde ich jetzt aber dreist und frage "Ça va?", was soviel heißt wie "Geht's gut?", kann aber auch heißen "Mach dich vom Acker!"

Mein Verfolger antwortet mit einem Redeschwall. Ich verstehe kein Wort. Er hat keine Vorderzähne mehr, das macht die Sache nicht besser. Außerdem spricht man in Paris das beste, in Südfrankreich das unverständlichste Französisch. 

"Vollpfosten", denke ich, lasse ihn einfach stehen und suche weiter. Inzwischen bin ich beim Olivenöl, das braucht man immer und ich schmeiße eine Flasche in meinen Wagen. 

Zu meinem großen Erstaunen muss ich feststellen, dass es gar nicht mein Wagen ist. Nichts von dem, was dort liegt, gehört mir. Es kann nur eine Erklärung geben: Ich bin die ganze Zeit mit einem völlig fremden Wagen durch den Supermarkt gefahren. Und ich weiß auch schon, wem er gehört - der Besitzer ist mein Freund, der zu Recht seine Waren zurück haben möchte und mich aus diesem Grund hartnäckig verfolgt hat. Er steht schon wieder hinter mir. Zahnlos grinst er mich an und ich möchte im Mauseloch verschwinden.

Himmel noch einmal - ich und meine Vorurteile!

Meine gestammelten Entschuldigungen nimmt er großzügig zur Kenntnis und verschwindet pfeifend in der Weinabteilung.

Meinen eigenen Wagen entdecke ich übrigens kurze Zeit später vor der Fischtheke.

Bei einem allerletzten Versuch, die Bonbons doch noch zu finden, treffe ich zum vierten Mal auf den kleinen Mann. Verschmitzt wedelt er mit dem rechten Zeigefinger: "Oh, la la, Madame...".

Jetzt reicht es mir aber. Ich schmeiße meine Waren auf das Kassenband, zahle und verlasse fluchtartig das Gebäude.

Der Mann an meiner Seite sieht mich fragend an: "Warum kommst du erst jetzt?"

"Ich habe mich mit einem kleinen Mann um einen Einkaufswagen gestritten. Er wollte um keinen Preis nachgeben. Die sind schon komisch, die Franzosen..."

Irgendwas ist ja immer...

Ein guter Freund von uns behauptet, Frauen können nicht Auto fahren. Männer schon. Vor allem könnten Frauen nicht einparken.

Ich finde, das kann man so nicht stehen lassen.

Denn obwohl ich mit 23 Jahren einem Linienbus der Lübecker Stadtwerke die Vorfahrt genommen habe, was meinem heißgeliebten dunkelgrünen Mini gar nicht gut bekommen war, fahre ich seitdem unfallfrei. Im Kreisverkehr blockiere ich nie die äußerste Spur, Parklücken fahre ich -zack - rein wie raus in 10 Sekunden und französischen testosterongesteuerten Autofahrern, die weder Blinker noch Bremse benutzen, biete ich mutig die Stirn. 

Der Mann an meiner Seite findet das auch. Dass ich vernünftig fahre. Er sagt sogar, einparken könne ich besser als er.

Das ist es dann aber auch schon. Sonst kann er alles besser als ich. Außer Kochen.

Tennis spielen, Lampen anbringen (kann ich gar nicht!), segeln sowieso. Und natürlich hat er viel mehr Ahnung von guter Musik und der deutschen Rechtsprechung ( beides ist allerdings sein Beruf). In Geographie ist er gradezu unschlagbar. Dazu gehört allerdings auch nicht viel. Ich verlege die Norddeutsche Tiefebene gern nach Niederschlesien. Als kartenlesender Beifahrer bin ich eine Null - Gott sei Dank haben wir ein Navi.

Ich habe unserem Freund dann gesagt, dass ich ganz viele Frauen kenne, die mit traumwandlerischer Sicherheit durch Europas Großstädte fahren und besser einparken als ein türkischer Macho, der seinen 3er BMW vor den Augen von drei Blondinen in eine Parklücke hineinhebelt. Dazu gehören beispielsweise meine 75jährige Schwester, die das Parken im verstopften Paris gelernt hat und meine Tochter, die in der Lage ist, einen Lieferwagen mit zwei Fingern in Berlins Zentrum einzuparken, wo die Autofahrer in ihrer Not schon in zweiter Reihe parken.

Das wollte er nicht glauben. 

Ich konnte es nicht ändern. Da die Sache zu eskalieren drohte, habe ich ein anderes Thema angeschnitten und der Abend verlief in trauter Harmonie. 

Auf dem Nachhauseweg hat mir der Mann an meiner Seite dann erzählt, dass unser Freund sich vor Jahren einmal die gesamte Seite seines Autos an der Grundstücksmauer aufgerissen hatte. Aus Angst vor Diebstählen war eine Lenkradkralle von ihm angebracht worden. Er muss es vergessen haben. Die Lenkung blockierte beim Losfahren und die Sache bekam Eigendynamik.

Das hatte natürlich nichts mit Fahrkunst zu tun. Das war einfach nur verdammtes Pech...

Irgendwas ist ja immer...

Ich bin Kasse.

Nicht im Krankenhaus, da habe ich eine Zusatzversicherung, damit ich nicht auf dem Flur liegen muss.

Auch nicht bei Zahnbehandlungen, die der Schönheit dienen. Da habe ich eine weitere Zusatzversicherung.

So langsam geht das ins Geld.

Für ganz normale Arztbesuche nützt mir das alles nichts. Da brauche ich einen Termin und hänge erstmal in der Telefonwarteschleife oder höre einen Vormittag lang das Besetztzeichen. Wie ist das möglich? Kann ein Telefonanschluss vier Stunden lang besetzt sein? Legen die Mädels einfach den Hörer daneben und können dann in Ruhe arbeiten?

Aber ohne Termin muss ich drei Stunden lang in einem miefigen ungelüfteten Wartezimmer sitzen, wo es als einzige Literatur das Deutsche Ärzteblatt von 2013 gibt.

Neulich hatte ich Glück.

Bei einem Facharzt hob schon nach dem fünften Klingeln eine Helferin ab und bat um Geduld. Danach durfte ich Zeuge des Alltags eines Praxisempfangs werden, ich konnte alles mithören. Patienten wurden um ihr Krankenkassenkärtchen gebeten, Kollegen um einen Kaffee, ein zweites Telefon (hää? Warum nimmt man mich nicht erst einmal dran?) bedient, ein offensichtlicher Privatpatient gleich nach seiner Ankunft zu Frau Doktor durchgebeten. 

Ich hörte gebannt zu.

Neben unzähligen schlechten Eigenschaften habe ich eine Gute: Ich bleibe dran am Problem, aufgeben ist nicht mein Ding. Der Mann an meiner Seite macht das anders: Hebt nach dem dritten Klingelton am anderen Ende niemand ab, legt er auf. Kann er auch. Erstens ist er Privatpatient und zweitens hat er mich. Einen zweiten Versuch starte ich für ihn - mit mehr oder weniger Erfolg. Siehe oben.

Die Helferin nahm dann doch wieder den Hörer in die Hand. Nach gefühlten 30 Minuten. 

Danach gerieten wir innerhalb kürzester Zeit sowas von aneinander, dass es eines Mentors bedurft hätte, um dem Gespräch wieder eine vernünftige Wendung zu geben. Einen Termin bekam ich erst in sechs Wochen, vorher ginge gar nichts! 

Mit etwas Glück wird sich mein Gesundheitsproblem bis dahin in Luft auflösen und ich kann den Termin stornieren. Wenn allerdings nicht nach dem zweiten Klingeln der Hörer abgenommen wird, lege ich auf. Und gehe einfach nicht hin. So!

Es gibt in diesem ganzen Dilemma eine Ausnahme:

Den wunderbaren Hausarzt meines Mannes. Es nimmt immer jemand den Hörer ab, manchmal sogar er selbst. Seine sympathische und beruhigende Stimme vergibt einen nahen Termin, wenn es eilt, sogar noch am selben Tag. 

Die Sache hat nur einen Haken - er behandelt nur noch Privatpatienten. Aber für sein ärztliches Können lieben wir ihn - der Mann an meiner Seite und ich. Neulich hat er sogar etwas gesagt, was ich seit meiner Kindheit, in der die ganze Familie von unserem alten Landarzt betreut wurde,  nicht mehr gehört habe: " Ihr könnt mich jederzeit anrufen".

Das würde ich gern auch mit meinen "Kassenärzten" machen - merkwürdigerweise werde ich immer Freitagabend krank - allein, es wäre niemand da...

Irgendwas ist ja immer...

 Meine Schwester Inge, die seit etwa 50 Jahren in Frankreich lebt, las meinen Beitrag über die Einkaufsgewohnheiten der Franzosen und würde gern noch etwas hinzufügen:

1.

Nicht nur am Samstag sind die Supermarchés bis 22.00 Uhr geöffnet, auch am Sonntag! Dann allerdings nur bis 12.30 Uhr. Trotzdem stehen die Hausfrauen am Montagmorgen schon wieder in der langen Kassenschlange und sei es auch nur wegen eines fehlenden Gewürzes. Vielleicht langweilen sie sich auch nur zu Hause und der Supermarché bietet durch den Informationsaustausch mit der Kassiererin eine willkommende Abwechslung. Man weiß es nicht.

2.

Will man die Ratschläge der Konsumberater aus dem TV beherzigen, wird der Einkauf zum Abenteuer. Angaben zum  Herkunftsland und Zusammensetzung des Produktes sind dermaßen klein geschrieben, dass man eine Lupe braucht. Gut wäre auch ein Studium von fünf Semestern Chemie, um zu verstehen, was alles in der Mayonaise drin ist. Das ist in Deutschland allerdings genau dasselbe (Anm. der Autorin).

3.

Männer benutzen gern ihr Handy, um zu Hause bei Germaine (der Begriff für die französische Durchschnittsfrau) anzurufen und um Rat wegen des Fettgehaltes im Ziegenkäse zu fragen. Oder sie wissen nicht, ob sie das Sonderangebot mit dem italienischen Schinken kaufen sollen. Er ist nur noch einen Tag haltbar. Es ist zum Wahnsinnigwerden, weil sie währenddessen die Gemüsewaage blockieren, statt in einer stillen Ecke zu telefonieren.

4. 

Ganz schlimm wird es, wenn du besseres Zeug wie Champagner oder Cognac kaufen möchtest. Hast Du endlich die richtige Sorte gefunden und möchtest sie aus dem Regal ziehen, ist dieses nur mit einem Schlüssel zu öffnen. Den hat aber die Kassiererin und willst du dir nicht den Unwillen aller in der Kassenschlange anstehenden Kunden zuziehen, musst auch du dich anstellen und warten, bis du an der Reihe bist. Hat dir die Kassiererin das Gewünschte übergeben, musst du dich erneut anstellen - um zu bezahlen.

Meine Schwester pflichtet mir bei: die beste Zeit für einen Einkauf im Supermarché ist mittags. Aber nicht, um etwas zu reklamieren! Das macht nur der Chef de Rayon und der ist über Mittag zu Hause.

Sie meint, früher, als man noch in einzelnen Läden einkaufte, gab es all diese Probleme nicht. Allerdings war man auch damals nicht gegen die langen Gespräche der Kassiererin mit einzelnen Kunden gefeit - eher im Gegenteil. In Zeiten ohne Smartphone kannte man sich meistens persönlich und war bei Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen gemeinsam anwesend. An der Kasse wurde dann alles noch einmal durchgegangen: c'était une belle fête - was soviel heißt: war wirklich ein schönes Fest.

Aber verglichen mit Griechenland oder dem Iran - sagt Inge - ist ihr die Einkauferei in Frankreich noch lieber. Im Iran stört man nur, wenn man in den Laden kommt, weil der Besitzer irgendein orientalisches Brettspiel mit Freunden spielt und man muss sich die Waren selbst in Tüten füllen. Und in Griechenland wird dein Gemüse mehr oder weniger lustlos auf einer Waage abgewogen, man bekommt keinen Kassenzettel und kann so nicht einmal überprüfen, ob man über's Ohr gehauen wurde.

Und Inge muss es wissen: sie hat in beiden Ländern schon gelebt...

Irgendwas ist ja immer...

Der zweitwichtigste Gang des Franzosen ist der zum Supermarché - gesprochen : Süüpermarscheee.

Lieber geht er nur noch zum Marché, dem Wochenmarkt, der in keinem Ort fehlen darf - und sei er noch so klein. Dieser unterscheidet sich von unseren deutschen Wochenmärkten dadurch, dass es hier außer Obst, Gemüse und Blumen Bademoden (ein Umhang, aus dem nur noch der Kopf herausguckt, ersetzt eine Umkleidekabine!), Reizwäsche (aus roter Spitze!!), Kleidung jeglicher Art, Seifen, Stoffe, Haushaltwaren und Bürsten für jeden Zweck gibt. Für den Mann an meiner Seite ein steter Quell der Freude, bekommt er hier doch endlich seine Abwaschbürste "Lola" aus echten Naturborsten, die er schon lange gesucht hat.

In unserer (Zweit)-Heimatstadt Cavalaire gab es sie nicht, auch nicht in St. Tropez, der nächst größeren Stadt, in der man zwar die coolsten Sonnenbrillen unseres Planeten und Shorts für 300,00 € bekommt, aber eben nicht "Lola".

Der große Supermarché in Cavalaire heißt "Le Clerc", aber weil er schon dreimal umfirmiert wurde, nennen wir ihn nur noch Supermarché. Den jeweiligen Namen können wir uns mittlerweile nicht mehr merken.

Es gibt hier jede Menge frisches Obst und Gemüse, welches man auf eine elektronische Waage legen muss, um den Preis auszudrucken. Anhand von bunten Bildchen auf dem Display kann man die richtige Sorte wählen, für Äpfel gibt es fünf Stück. Da sie alle gleich aussehen und sich nur im Preis voneinander unterscheiden, weiß ich nicht, welches die richtige ist. Meistens nehme ich einfach den günstigsten. Meistens klappt das. Aber nicht immer. Dann sieht mich die Kassiererin streng über den Rand ihrer Brille an und geht selbst zur Waage, um neu auszudrucken. Und die Leute in der Schlange hinter mir gucken böse.

Den Mann an meiner Seite zieht es derweil zum Fischstand. Fisch ist sein Ding, da er im Gegensatz zu mir ausgezeichnet Fisch zubereiten kann. Bei mir klebt der Fisch unlöslich am Pfannenboden, irgend etwas mache ich falsch. Danach geht er ohne Umwege zum riesigen Weinsortiment des Hauses, wo er sich endlos lange aufhalten kann. Letztendlich kauft er drei Flaschen Rotwein. Da ist er ganz Franzose.

Bei unseren westlichen Nachbarn dauern die Einkäufe nämlich Stunden, da sie jedes Produkt ausführlich auf Inhalt und Haltbarkeit überprüfen und - bei Obst und Gemüse - gern daran schnuppern (angeblich riecht man bei Melonen den Reifegrad, für mich riechen alle Melonen gleich).

Ich hingegen ziehe das gewünschte Produkt aus dem Regal. Zack! Fertig!

Der Grund für meine Eile liegt in den Temperaturen des Supermarchés. Da Fischtresen, Fleisch- und Milchprodukte gut gekühlt werden, herrscht eine eisige Kälte in den Gängen und da ich bei 30 Grad Außentemperatur nur leicht bekleidet bin, flitze ich mit Höchstgeschwindigkeit durch die Gegend. Will ich mich etwas aufwärmen, besuche ich meinen Liebsten bei den Weinen. Dort ist es erträglich.

Die beste Zeit, um in Frankreich einzukaufen, ist um ein Uhr mittags. Dann sitzen die Einheimischen beim Mittagessen und nur ein paar vereinzelte Touristen in Shorts und Sandalen irren durch den Supermarché, um überteuerten Käse einzukaufen.

Die schlechteste Zeit ist Montagmorgen.

Denn obwohl die Franzosen an Sonnabenden, an denen alle Supermarchés bis 22.00 Uhr geöffnet haben, Lebensmittel für die nächsten Wochen einkaufen können, stürmen sie am Montag um acht Uhr vormittags wieder die Geschäfte. Wahrscheinlich haben sie am Wochenende alles aufgegessen. Es gibt keinen Parkplatz und die Schlangen vor den Kassen sind endlos lang. Sie nehmen auch nicht merkbar ab.

Dies liegt in erster Linie daran, dass die Kassiererinnen fast alle ortsansässigen Kunden persönlich kennen und da es ein sehr kommunikatives Land ist, entspinnen sich lange Unterhaltungen zwischen beiden:

"Wie geht es der Oma? Hat der Schwager endlich einen neuen Job? Was macht der Umbau der Garage?"

Zur Tarnung und weil die Kunden in der Warteschlange anfangen, vor Ungeduld mit den Füßen zu trippeln, schieben die Kassiererinnen ab und zu einen Teil der Ware durch den Scanner und dann geht es weiter:

"Oh, sehr chic die Bluse. Wo gekauft? Christine hat glaube ich dieselbe".

Die Lage spitzt sich zu, die Kassiererin stört das nicht. Irgendwann ist der nächste Kunde dran und es geht wieder los: 

"Wie geht...".

Was die Sache auch nicht erleichtert ist, dass alles, und sei es nur ein Baguette, mit der Kreditkarte bezahlt wird. Das dauert.

Ca marche - es geht...

Irgendwas ist ja immer...

Wir gehen gern frühstücken, meine Freundin Ruth und ich.

Und da mein Frühstück zu Hause in der Regel lediglich aus einem großen Becher Tee und sonst nichts besteht, schwelge ich die gesamte Frühstückskarte rauf und runter. Die kleinen und die großen, die süßen und die herzhaften, die italienischen und die französischen Verlockungen.

Und die Extras.

Frauen suchen sich ja bekanntlich etwas aus dem Sortiment der Karte aus und dann geht es los:

"Kann ich statt des Croissants lieber ein zweites Brötchen haben? Und statt des gekochten lieber ein Rührei? Prima, dann brauche ich eigentlich nur noch einen Cappuccino und nicht den normalen Kaffee und bitte noch ein Töpfchen Kirschkonfitüre und etwas Butter extra".

Männer bestellen haargenau nach Karte: Ein großes Frühstück.

Fertig.

Ein Cafe in unserer schönen Hansestadt allerdings wollte uns gar kein Frühstück servieren. Obwohl ich noch gar keine Extrawünsche geäußert hatte.

"Frühstück ist aus"!

Es war 11.00 Uhr vormittags.

Verblüfft bestellten wir lediglich einen Cappuccino. Draußen regnete es in Strömen und wir waren froh, wenigstens warm und trocken zu sitzen.

Ich fühlte mich in die achtziger Jahre versetzt, als es in dem berühmten Lübecker Cafe mit all dem Marzipan nicht möglich war, an Außentischen eine Tasse Kaffee zu trinken.

"Draußen nur Kännchen".

Schon damals hatte ich den Verdacht, es könnte sich um eine reine Erziehungsmaßnahme handeln.

Sollte das jetzt auch der Fall sein?

Sollte der Gast gefälligst früher zum Frühstücken kommen?

Fehlende Brötchen konnten jedenfalls nicht der Grund sein. Die gab es reichlich genau gegenüber beim Bäcker.

Wir waren nicht die einzigen, denen man umbarmherzig das Frühstück verwehrte. Haargenau viermal verließen Gäste ihren gerade eingenommenen Platz, sie alle wollten ebenso wenig wie wir die Alternative wählen, die die Bedienung nicht müde wurde, gebetsmühlenartig anzubieten: "Bagel können sie haben". Dieses runde Gebäck mit einem Loch in der Mitte gehört in den USA zum festen Ernährungsplan.

Mir ersetzt das aber kein Frühstück mit Käse, Schinken, Marmelade und einem Ei.

Lediglich zwei alte Damen entschlossen sich zu bleiben und statt eines Frühstücks zwar keinen Bagel, dafür aber ein großes Stück Sahnetorte zu essen.

Die war nicht aus.

Zu unserem nächsten Frühstück trafen wir uns in einem kleinen Altstadtcafe.

Die Karte bot reichlich Auswahl und nach kürzester Zeit schleppte die Bedienung all die leckeren Dinge an, die wir hemmungslos bestellt hatten. Zufrieden machten wir uns über das Sortiment her und hatten uns jede Menge zu erzählen. Vier Wochen, in denen Frauen sich nicht sehen, können eine lange Zeit sein.

"Kann ich ihren Tisch ein bisschen beiseite rücken?"

MIr schwante Unheil.

Zwei junge Mütter, zwei Kinderwagen nebst umfangreichem Babyequipment und den dazugehörigen Kleinkindern nahmen von ihrem Umfeld Besitz. Man kann es nicht anders nennen.

Mit unserer Ruhe war es vorbei.

Die Lautstärke rechts neben uns ließ eine vertrauliche Unterhaltung nicht mehr zu. Innerhalb kürzester Zeit brüllten wir Dinge über den Tisch, die wir lieber nicht der Öffentlichkeit preisgegeben hätten.

Die Babys quengelten, die Mütter störte das nicht. Das waren sie gewohnt. 

Wir erfuhren ungewollt, wie lange und in welchen Mengen gestillt wurde, Einzelheiten über die Verdauung der Kleinen und genaue Geburtsvorgänge.

Zwischenzeitlich ging das Gequengel in Gebrüll über.

Wir kapitulierten.

Hastig suchten wir unsere Sachen zusammen, ließen das restliche Frühstück stehen, zahlten und flohen nach draußen. Dort umarmten wir uns herzlich zum Abschied und versicherten uns, dass wir unsere längst erwachsenen Kinder damals gern einmal der Fürsorge einer Großmutter oder eines Babysitters überlassen hatten. 

Damit wir uns ungestört und in aller Ruhe einmal über berufliche Probleme, Mode oder unsere Männer unterhalten konnten.

Das nächste Mal, glaube ich, lade ich Ruth zum Frühstück zu mir nach Hause ein.

Irgendwas ist ja immer...

Der Mann an meiner Seite hat Herz.

Andere Männer haben Rücken. Oder Knie.

Hatte er schon. Jetzt hat er Herz.

Für Außenstehende kein Problem:

Die behandelnden Ärzte waren direkt dran am Problem - reine Routine, das Risiko liegt bei einem Prozent, machen wir einen Klappenersatz mittels einer TAVI EvolutR-Prothese.

Ein Freund, den ich zufällig traf, lenkte erfolgreich von seiner Frage "Wie geht es deinem Mann?" ab, indem er einen ellenlangen Vortrag über eigene Beschwerden hielt: "Seit einem Jahr dieser Schmerz in meiner rechten Schulter und keiner kann mir helfen...".

Mich konnte weder das eine noch das andere beruhigen.

Die Frage einer Bekannten "Hat er Angst" ließ mich erbleichen. Natürlich habe ich das vehement verneint. Angst? Mein Mann? Niemals!!!

Männer haben keine Angst.

Aber Frauen.

Der Eingriff fand statt und obwohl mein Kind extra seine Praxis den Angestellten überlassen hatte und mir tapfer zur Seite stand, konnte ich nicht mehr essen und schlafen. Der Anblick meines Liebsten auf der Intensivstation, umgeben von Schläuchen und piependen Geräten, hatte mir jegliche Kraft geraubt.

Selbst die Verlegung auf die Station half mir nicht. Wurde doch zur selben Zeit gerade ein Patient mit Verdacht auf Norovirus eingeliefert. 

Ins Zimmer gegenüber!

Die Notärztin, die den Transport begleitete, glich einer Mumie, es waren eigentlich nur die Nase und Augen frei. Die Stationsschwester lief wie eine aufgeschreckte Hummel über den Flur, zog sich hektisch einen grünen Kittel über und begleitete den hochinfektiösen Patienten in sein Zimmer. 

Hilfe!

Kaum etwas ist so ansteckend wie ein Norovirus. Nur vollständig vermummt darf man zum Kranken und verlassen darf man ihn nur, wenn man die Schutzkleidung anschließend vernichtet. Ein grüner Kittel! Vorn offen! Hoffte die Schwester, der Virus klammert sich am Kittel fest und wagt sich nicht mehr nach draußen?

Kaum war der Mann an meiner Seite reif für die Reha, haute mich eine Bronchitis aus den Schuhen. Meine Abwehrkräfte hatten sich wohl bei all der Sorge aus dem Staub gemacht. Ich schaffte es gerade noch, den Patienten wohlbehalten einer kompetent wirkenden Aufnahmeschwester in die Hand zu drücken, da machte mein Körper schlapp. Die Augen tränten, die Nase lief, der Husten saß bombenfest, die Bronchien rasselten, mein Körper wollte ohne Umwege direkt ins Bett.

Unser Hund wollte raus. Viermal am Tag, so ist er es gewohnt. Er war nicht kompromissbereit. Kein Hund ist das.

Jetzt ist der Mann an meiner Seite seit einer Woche auf dem Weg nach oben, ein Team von Ärzten, Schwestern, Physiotherapeuten und sonstigem Personal begeitet ihn.

Mich begleitet unser Hund. Wir stapfen um acht Uhr früh bei Regen und Sturm durch die Landschaft und trotzen Viren und Bakterien.

Gestern haben der Mann an meiner Seite und ich das Rehagelände verlassen, um in einem Restaurant am See einen Cappuccino zu trinken. Um uns herum saßen Menschen, die die achtzig locker überschritten hatten. Auf ihren Tellern prügelten sich teilweise drei Stück Sahnetorte um ein wenig Platz. Es war das Angebot des Tages: Kaffee und Torte "satt". 

Uns wurde schon vom bloßen Anblick schlecht.

Der Cappuccino war keiner, es war dünner Filterkaffee mit ein wenig Milchschaum.

Es wird Zeit, dass mein Liebster wieder nach Hause kommt!

  

Ihr neues Buch schreibt die Autorin überwiegend in Südfrankreich.

Über die Bewohner dieses Landes gibt es folgendes zu sagen:


Vor den „Ereignissen“, wie es die Franzosen nennen ( womit die Terroranschläge vom November 2015 gemeint sind), waren sie ein fröhliches und unbekümmertes Volk.
Die Autorin lebt gern dort.
Obwohl:
1.) Es gibt in Frankreich zwar eine Straßenverkehrsordnung. Deren Vorschriften werden allerdings lediglich als Vorschläge angesehen.
2.) Zwischen 12.30 und 15.30 Uhr gibt es nichts oder niemanden, der erreichbar wäre, bräuchte man denn Hilfe. Alle Franzosen essen zu dieser Zeit,´ das ganze Land befindet sich in einem Zustand tiefster Lethargie.
3.) Dies steht in einem völligen Gegensatz zu der ständigen Eile, welche die Menschen in diesem Land antreibt. Sie fahren, als ob ihre Hütte brennt und drei ihrer Kinder darin eingeschlossen sind.
4.) Bestellungen in Restaurants müssen zügig abgegeben werden. Für Verzögerungen hat die Bedienung da keinerlei Verständnis. Außerdem erwartet man von den Ausländern, dass sie selbst so komplizierte Bezeichnungen wie „Galettes de Sarrazin à la bretonne“ verstehen.
5.) Um sein Auto aus einer Parkbucht zu rangieren, braucht man zwei Rück- und vier Seitenspiegel, einen über Eck. Niemand hier würde eine Sekunde warten, damit man heraus kann. Weder Motorrad - noch Autofahrer und schon gar nicht die Fußgänger.

Letztere nehmen lieber in Kauf, den Rest ihres Lebens im Rollstuhl zu verbringen.
Ca marche - es geht ...
Trotzdem hofft die Autorin von ganzem Herzen, dass dieses Volk wieder fröhlich und unbekümmert wird.

Leseprobe des neuen Buchs

(Erscheint voraussichtlich 2017)

 

Aber in einem Haus wie der Bürgerpark-Residenz bleibt nichts geheim.

Ausgerechnet Direktor Eddi Weber, der den Kontrollgang über die Pflegestation  herausschiebt, wo immer er kann, und deshalb für das morgendliche Schlemmen seiner Angestellten keine Gefahr bedeutet, kommt an diesem Morgen gutgelaunt den Flur der Pflegestation entlang und ist schon fast am Frühstücksraum der Bewohner  vorbei, als er wie angewurzelt stehenbleibt. Er glaubt, seinen Augen nicht zu trauen.

„Guten Morgen, meine Damen, wird der Personalspeiseraum renoviert oder warum sehe ich hier so eine fröhliche Runde beim Frühstück? Wo sind denn unsere Bewohner?“

„Sind alle längst fertig“, sagt Pflegedienstleiterin Susanne Merz schnell. „Jetzt stärken wir uns für unseren anstrengenden Tag. Kommt doch sonst sowieso alles in die Tonne“.  

Überflüssigerweise fügt sie noch hinzu: „Bei meiner letzten Stelle haben wir das auch immer so gemacht. Ist doch sonst ein Jammer!“

Dass das reichliche Aufschnittangebot ein Rest vom Bewohnerfrühstück ist und mitnichten von seinen Angestellten mitgebracht wurde, ist Eddi Weber noch gar nicht aufgefallen.

Aber jetzt!

„Ich glaube, Frau Merz, hier gibt es Klärungsbedarf“, zischt er erbost. „Kommen Sie doch bitte gleich in mein Büro“.

Margi und Frau Schuster applaudierten im Geist und versuchten, unbeteiligt auszusehen.  

Und Elschen Meier nimmt sich schnell noch eine Scheibe Schinken. Sie ahnt, dass es künftig wieder die mitgebrachten Butterbrote zum Frühstück geben wird. Und zwar  im Keller des Hauses, im kargen Personalspeiseraum.

Im Direktionsbüro zeigt sich Susanne Merz uneinsichtig und macht ein bockiges Gesicht. Eddi Weber bekommt rote Flecken am Hals, wie immer, wenn er sich aufregt.

„So, jetzt mal im Klartext!

Erstens: Sie frühstücken also mit Ihrem Team in einem Raum, der ausschließlich unseren Bewohnern zugedacht ist.

Zweitens: Die ihnen anvertrauten Menschen müssen derweil in ihrem Zimmer verschwinden und zwar, wenn ich auf meine Uhr sehe, hopp, hopp. Es ist jetzt 9.00 Uhr, da sind doch längst noch nicht alle fertig, oder?

Drittens: Sie und ihre Mannschaft bedienen sich – und das finde ich jetzt richtig dreist, Frau Merz – am Speiseangebot für die Pflegebewohner. Aber sie wissen schon, dass es streng verboten ist, auch nur an der Petersilie der Garnitur zu knabbern?“

Susanne Merz spürt über ihrem rechten Auge eine beginnende Migräne. Mit einem hilflosen Versuch, dem unangenehmen Gespräch eine entspannende Wendung zu geben, macht sie ihrem Direktor klar, dass sich Petersilie gar nicht auf der Aufschnittplatte befunden hätte. Aber Eddi Weber bringt das nur noch mehr auf die Palme.

„Kommen Sie mir nicht so, Frau Merz, nicht so! Das hier gibt jetzt erst einmal eine saftige Abmahnung. Stecken sie sich die hinter den Spiegel und sehen sie ruhig ab und zu mal hin.  Und sollte ich in Zukunft noch einmal erfahren, dass sich jemand vom Pflegepersonal auch nur eine Tomatenscheibe unberechtigterweise in den Mund schiebt, ist das ein Grund für eine fristlose Entlassung.

IST DAS KLAR?“

Hinter der Stirn von Susanne Merz klopft jetzt der Schmerz unaufhörlich. Sie nickt. „Ist klar, Herr Weber. War das alles?“

Eddi Weber, der weiß, dass dieser Vorfall heute Morgen nur möglich war, weil er sich viel zu wenig um den ganzen Pflegebereich kümmert, macht eine unwirsche Handbewegung Richtung Tür. Von jetzt an würde er ein ständiger Besucher auf der Station 4 sein, das nimmt er sich fest vor. Immer schön unangemeldet und immer zu verschiedenen Zeiten. Eventuell manchmal sogar nachts. Obwohl – da liegt er nun wirklich lieber in seinem bequemen Bett. Das wird er der Hähnlein aufdrücken. Die Nachtwachen kontrollieren, ob auch keiner heimlich raucht oder sich ein kleines Schläfchen in einem unbenutzten Zimmer genehmigt. Und dann wird er den General anrufen und ihm von seiner neuesten Maßnahme berichten. Der würde begeistert sein.

„Wie blass sie sind“, stellt Frau Wisnia zufrieden fest, als Susanne Merz an ihr vorbeigeht.  Sie ist immer froh, wenn es anderen schlechter geht als ihr und dass es Susanne Merz im Moment gar nicht gut geht, ist deutlich zu sehen. „Der tut einen manchmal ganz schön fertig machen, was?“, versucht sie die Pflegedienstleiterin auszuhorchen. Vielleicht erfährt sie ja ein paar delikate Details und kann so tun, als hätte sie Mitleid.

„Ja?“, flüstert Susanne Merz matt, „das kann ich nicht beurteilen. Wir haben eben nur über Ernährungspläne für die Bewohner gesprochen“.

Frau Wisnia guckt sie erstaunt an.

„Was‘n?“

„ESSEN“, sagt Susanne Merz überdeutlich. „Das ist das, was die Menschen dreimal am Tag zu sich nehmen“.

„Kann sein“, sagt Frau Wisnia etwas enttäuscht, „aber das glaube ich nicht. Es war eben ganz schön laut nebenan“.

Susanne Merz beißt auf ihre Unterlippe und sieht Frau Wisnia gedankenverloren an. Sie glaubt ehrlich gesagt nicht, dass sie in diesem Laden lange arbeiten wird. Das ist hier alles viel zu viel kontrolliert. Die Bewohner werden zu wichtig genommen. Sie sehnt sich nach ihrer letzten Arbeitsstelle, wo man ihr in allen Dingen freie Hand gelassen hatte. Warum hatte sie da bloß gekündigt?

Sie zuckt die Schulter. „Ich bin oben, wenn der Chef nach mir fragt. Medikamente stellen“.

Dummes Zeug, das war ein Anschiss und keine Dienstbesprechung, denkt Frau Wisnia und sieht den Plüschaffen auf ihrem Bildschirm streng an. Die Merz will mich verkohlen. Ich weiß, was ich weiß, ich habe doch keine Tomaten auf den Ohren. Die tut nicht lange bleiben, so viel steht fest.

Und da hat Frau Wisnia ausnahmsweise einmal Recht.

Eddi Weber macht ernst. Von nun an stiefelt er mehrmals täglich über die Pflegestation, steckt seine Nase ins Stationszimmer, räumt dort auf dem großen Schreibtisch alles hin und her, so dass die Angestellten nichts mehr wiederfinden, schließt zum tausendsten Mal die Tür zum Spülraum, wo die Bettpfannen entleert werden und wo es trotz reichlicher Desinfektionsmittel immer recht streng riecht, kontrolliert die kleine Stationsküche, die zum Bewohnerspeisezimmer gehört und öffnet den Kühlschrank so oft, dass der dauernd anspringt und mit seinem ständigen Gebrumm alle nervös macht. Nichts ist vor ihm sicher, selbst die Kugelschreiber im Stationsraum, der sich hinter einer großen Glasscheibe direkt am Flur der Pflegestation befindet, werden von ihm täglich gezählt.

„Was suchen sie eigentlich genau?“, fragt Susanne Merz ihren Direktor aufgebracht, als sie ohne Anmeldung ein paar Tage später sein Büro betritt. „Meine weiblichen Mitarbeiter sind am Boden zerstört. Sie behaupten allesamt, ihre Handtaschen seien von ihnen durchwühlt worden. Herr Weber, das geht entschieden zu weit!“

„Das war mein gutes Recht“ sagt Eddi Weber. „Das mit den Handtaschen“.

„Da begeben sie sich aber auf ganz dünnes Eis“, sagt Susanne Merz, die sich mit Personalrecht gut auskennt und genau weiß, dass eine Taschenkontrolle nicht erlaubt ist. Allenfalls bei Verdacht auf Diebstahl. Dann aber auch nur, wenn der Verdächtige selbst seinen Tascheninhalt leert.

„Jetzt sagen sie mir doch in Gottes Namen Herr Weber: WAS SOLL DAS?“

„Das will ich Ihnen sagen“, antwortet dieser und grinst überheblich. „Ich habe oft genug betont, dass Handtaschen auf der Station nichts zu suchen haben. Sie sind hier überhaupt nicht gegen Diebstahl gesichert und für jedermann zugänglich“.

Ja, für dich zum Beispiel, denkt Susanne Merz und verzieht den Mund zu einem verächtlichen Lächeln. Ihre Kolleginnen haben sich zutiefst geschämt, denn in weiblichen Handtaschen sind oft ganz persönliche Dinge, Dinge, die man nicht vor den Augen seines Chefs ausbreiten möchte. Von der Geldbörse mal ganz zu schweigen. Es muss ja schließlich keiner wissen, dass man nur noch vier Euro und 50 Cents am Monatsende bei sich hat. Und alle mussten sich vorstellen, dass Eddi Weber jetzt ihre größeren oder kleineren Geheimnisse kennt. Denn dass er ganz genau hingesehen hat, das ahnen alle. Für seine Neugier und sein Besserwissertum ist er inzwischen im ganzen Haus bekannt.

„Bei fünf Mitarbeiterinnen haben sie einen Zettel hinterlassen, dass sie sich bei Ihnen melden sollen“.

„Unsinn“, sagt Eddi Weber vage und wedelt mit der Hand über sein Gesicht, als wollte er ein lästiges Insekt verscheuchen. „Ich habe nur eine Tasche aufgemacht und gar nicht auf den Inhalt geachtet. Ich wollte nur wissen, wem sie gehört, damit ich die Betreffende zurechtweisen kann“.

Ja klar, denkt Susanne Merz, da hast du gar nicht richtig hingesehen. Und der Name der Besitzerin stand dann auch in Großbuchstaben im Taschenfutter.

Eine Weile ist es still im Chefbüro, dann zuckt Susanne Merz mit den Schultern. „Ist ja nun auch nicht mehr zu ändern, wollen sie sich wenigstens dafür entschuldigen?“

„Ne“, sagt Eddi Weber, „neheee Frau Merz, auf gar keinen Fall. Die Mädels sollten die Taschen künftig in ihren Spind im Kellerumkleideraum packen. Moralisch ist die ganze Sache einwandfrei. Klar soweit?“

Susanne Merz seufzt und verdreht die Augen:

„Sie müssen es ja wissen, mein Ruf als Vorgesetzter ist es ja nicht, der gerade den Bach runtergeht. Dabei wissen Sie ganz genau, dass unsere Sachen im Spind des Umkleideraums überhaupt nicht sicher sind. Vor einer Woche ist dort zum achten Mal ein Spind aufgebrochen worden, soweit ich weiß“.

Sie steht auf und verlässt grußlos den Raum. An Frau Wisnia geht sie diesmal ganz schnell vorbei. Sie hat keine Lust, von ihr wieder auf ihren Gesundheitszustand angesprochen zu werden.

Doch diese hat diesmal kein Interesse am Leid der Kollegen. Sie zählt gerade das Kleingeld der Bürokasse und findet schon wieder einen Fehlbetrag darin. Wie zum Teufel ist der jetzt wieder entstanden? Eigenartig, manchmal hat sie das Gefühl, das Geld in ihrer Kasse mache sich selbstständig. Erst neulich hatte sie 35 Cent zu viel. Auch nicht schön.

„Irre“, sagt sie, nachdem sie eine ganze Weile nachgedacht hat und deshalb nicht den Telefonhörer abnehmen kann.  Das Telefon bimmelt  im Minutentakt.

„Ich hab’s!“

Triumphierend sieht sie ihren Plüschaffen an, als könnte sie von diesem jetzt ein Lob erwarten.

„Zehn Euro für den werten Herrn Direktor“. Der hatte sich nämlich wieder mal Geld aus der Kasse geben lassen, damit er seinen Haarschnitt bei dem hauseigenen Frisör bezahlen konnte. Nach seiner Aussage habe er immer nur drei Euro höchstens  in der Tasche. Mehr wolle er auf keinen Fall pro Tag ausgeben. Und wie immer hat er natürlich keine Quittung unterschrieben.

Das Telefon bimmelt immer noch.

Aber erst muss sie die Geschichte hier zu Ende bringen. Sonst ist sie wieder raus. Also: nachträglich eine Quittung anfertigen und von Eddi Weber unterschreiben lassen. Oder ihn zur sofortigen Zahlung auffordern. Und in Zukunft gibt’s von ihr gar kein Geld mehr ohne Unterschrift. Geliehen oder nicht geliehen.

Endlich greift sie zum Telefonhörer.

„Wisniaczikowski“ sagt sie unfreundlich und der Teilnehmer am anderen Ende weiß jetzt gar nicht, ob er mit der Bürgerpark-Residenz verbunden ist oder nicht. Er kann das eben Gehörte nicht richtig deuten. Irgendwie klang es polnisch. Und weil die Stimme wenig entgegenkommend wirkt,  legt er einfach wieder auf.